Positionspapier des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP) zur Stärkung der Psychosozialen Notfallversorgung: Psychische Resilienz in Extremereignissen
Positionspapier
Berlin, 19.6.2025
Die stark veränderte geopolitische Lage hat im Verlauf der letzten Jahre zu einem neuen Bewusst-sein in Politik und Bevölkerung für die Notwendigkeit einer Steigerung der Resilienz und Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland geführt. Die Koalitionspartner der aktuellen Bun-desregierung CSU/CDU und SPD haben bereits im März 2025 Vorbereitungen dazu getroffen, Investitionen in die militärische und Zivile Verteidigung unseres Landes in beispielloser Höhe – im Umfang mehrerer hundert Milliarden Euro – vornehmen zu können.
Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP) teilt die Notwendigkeit solcher Investitionen zur Steigerung der Resilienz Deutschlands angesichts militärischer, aber auch terroristischer Bedrohungen und Gefahren und Herausforderungen in vergleichbaren Größenordnungen, die sich beispielsweise aus dem Klimawandel ergeben (Hochwasserkatastrophen, Dürren etc.). Aus den bisher von Politiker*innen angesprochenen und im Koalitionsvertrag 2025 aufgeführten geplanten Investitionsschwerpunkten ergibt sich allerdings eine gravierende Vernachlässigung des Bereichs der Psychischen Gesundheit in der Vorbereitung auf Katastrophenszenarien sowie den Spannungs-, Bündnis und Verteidigungsfall.
Denn die Erfahrungen und Forschungsarbeiten aus sämtlichen Kriegsschauplätzen der letzten Jahr-zehnte zeigen ohne Ausnahme: Die psychische Gesundheit der Bevölkerung ist in solchen Szenarien außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt und die „Resilienz“ eines Landes kann ebenso wenig wie dessen „Kriegstüchtigkeit“1 gedacht werden, ohne auch das Thema psychische Gesundheit mitzudenken und in seiner herausgehobenen Bedeutung mitzuberücksichtigen: Bei geschätzten 1.000 körperlich verletzten Soldat:innen pro Tag (!) würden mit großer Wahrscheinlichkeit noch weit mehr Betroffene mit psychischen Traumata und den daraus resultierenden Traumafolgestörungen von ihren Einsatzgebieten zurückkehren, um dann ebenfalls in den zivilen Versorgungsstrukturen (Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen) behandelt zu werden – diejenigen Strukturen der Regelversorgung, die auch heute schon am Rande ihrer Kapazitäten agieren und bei denen monatelange Wartezeiten für Patient*innen zum Standard geworden sind. Diese regulären Patient*innen hätten im Katastrophen-, Bündnis- und Verteidigungsfall jedoch ebenso wie erhebliche Anteile der Bevölkerung, die ansonsten mit psychischen Belastungen unterhalb der Krankheitsschwelle zu kämpfen haben, zusätzlichen Versorgungs- und Behandlungsbedarf. Hinzu kämen Flüchtlingsströme in einer Größenordnung, die diejenigen von 2015 (insbesondere Syrien) und 2022 (insbesondere Ukraine) um mehrere Größenordnungen in den Schatten stellen würden.
Aus diesem Grund stellt der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. folgende fünf Forderungen an die Bundespolitik:
- Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) muss als eigenständiger Aufgabenbereich in § 13 Abs. 1 des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes verankert werden.
- Alle Elemente der psychosozialen Rettungskette müssen systematisch verzahnt und die schwachen Elemente verstärkt werden.
- Es müssen verstärkt sekundärpräventive Interventionen nach potentiell traumatischen Ereignissen eingesetzt und in der Finanzierung strukturell abgesichert werden.
- Auf regionaler Ebene müssen Koordinierungsstellen des psychosozialen Krisenmanagements eingerichtet werden.
- Die kontinuierliche Weiterentwicklung der PSNV in Deutschland und verzahnten Planungen muss unter Beteiligung aller relevanten Akteur*innen und Fachverbände auf Landes- und Bundesebene erfolgen.
Unsere Forderungen im Einzelnen:
Forderung 1:
Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) muss als eigenständiger Aufgabenbereich in § 13 Abs. 1 des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes verankert werden.
Katastrophen-, Bündnis- und Verteidigungsszenarien können aufgrund ihrer Komplexität und der extrem großen Zahlen an zu versorgenden Menschen nur von den Strukturen des Bevölkerungsschutzes bewältigt werden. Dies gilt für die körperliche Gesundheit im Rahmen der Notfall- und Katastrophenmedizin ebenso wie für die psychische Gesundheit, die sich in den Begriffen und Konzepten der öffentlichen Gefahrenabwehr als Aufgabengebiet der PSNV wiederfindet.
§ 13 Abs. 1 des Zivilschutz- und Katastrophenschutzes definiert die Aufgabenbereiche des auf Bundesebene geregelten Zivilschutzes und regelt finanzielle Unterstützung des Bundes für die fraglos wichtigen Bereiche Brandschutz, ABC-Schutz, Sanitätswesen (Versorgung von körperlich Verletzten und Erkrankten) und Betreuung (Registrierung und Transport von Unverletzten sowie deren Versorgung mit vorübergehender Unterbringung, Verpflegung, Gegenständen des alltäglichen Bedarfs und sozialer Betreuung).
Die Psychosoziale Notfallversorgung ist dort derzeit nicht mit aufgeführt, was zur Folge hat, dass für die Einheiten der PSNV (Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams in Trägerschaft von Hilfsorganisationen, Kirchen, Vereinen und Kommunen) keinerlei finanzielle Unterstützung von Sei-ten des Bundes zur Verfügung gestellt wird, um bspw. mit Ausbildung, Ausrüstungsequipment und Fahrzeugen einsatztauglich für solche Szenarien sein zu können.
Eine teilweise angeführte Subsummierung der PSNV unter den Bereich „Betreuung“ wird weder der spezifischen Fachlichkeit noch der operativen Praxis der PSNV (Verzahnung von psychosozialer Akuthilfe mit mittel- und langfristiger psychologischer, sozialarbeiterischer, seelsorgerlicher, psychotherapeutischer und psychiatrischer Weiterversorgung, siehe Forderung 2) gerecht. Die PSNV stellt ein spezialisiertes, professionelles Hilfeangebot dar, das sich in Auswahl, Ausbildung, Einsatztaktik und Zielsetzung grundlegend vom klassischen Betreuungsdienst unterscheidet.
Nur durch eine explizite gesetzliche Verankerung kann sichergestellt werden, dass PSNV-Einheiten strukturell, organisatorisch und finanziell in die Katastrophenvorsorge und -bewältigung eingebunden werden – im Sinne eines ganzheitlichen Bevölkerungsschutzes, der die psychische wie auch die körperliche Unversehrtheit gleichermaßen schützt.
Wir fordern daher die Verankerung der PSNV als eigenständiger Aufgabenbereich in § 13 Abs. 1 des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes.
Forderung 2:
Alle Elemente der psychosozialen Rettungskette müssen systematisch verzahnt und die schwachen Elemente verstärkt werden.
Was in der somatischen (Notfall-)Medizin seit vielen Jahrzehnten unangefochtener Standard ist, wird im Bereich der psychischen Gesundheit bislang weitestgehend vernachlässigt: Die Rettungskette. Bei schweren körperlichen Verletzungen definiert und veranschaulicht sie die unerlässliche Kette von Versorgungselementen, die für eine möglichst vollständige Heilung in fester Abfolge durchschritten werden müssen (von Erster Hilfe über den Rettungsdienst bis zur Behandlung im Krankenhaus, vgl. Abb. 1). Die zentrale Botschaft: Wenn nicht sämtliche Elemente der Versorgung optimal ineinandergreifen, bricht die Kette stets an ihrer schwächsten Stelle.
Abbildung 1: Rettungskette der somatischen Notfallmedizin.
Auch im Bereich der psychischen Traumata existiert eine solche (psychosoziale) Rettungskette: Maßnahmen während der ersten Stunden nach potentiell traumatischen Ereignissen (Akutphase) umfassen zunächst die Psychische Erste Hilfe durch Ersthelfer und Einsatzkräfte von Rettungsdienst, Feuerwehr oder Polizei, bis zuvor alarmierte spezialisierte Kräfte der Psychosozialen Akuthilfe (PSAH) die Versorgung übernehmen. Diese werden bei Betroffenen mit starken Belastungsreaktionen und/oder Risikofaktoren idealiter gefolgt von psychologischer Nachsorge während der sogenannten Stabilisierungsphase (4 – 6 Wochen nach dem Ereignis). Im Bedarfsfall schließt daran schließlich eine psychologische Psychotherapie oder äquivalente heilkundliche Interventionen hie-ran an. Flankiert werden diese Interventionen gegebenenfalls auch durch sozialarbeiterische, seelsorgerische und/oder psychiatrische Interventionen (vgl. dazu die S2k-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“).
Abbildung 2: Idealtypische psychosoziale Rettungskette.
Tatsächlich aber sind so viele der Glieder dieser psychosozialen Rettungskette in Deutsch-land derzeit so stark beeinträchtigt, dass eine systematische Übergabe (z. B. von Psychosozialer Akuthilfe zu mittelfristiger Stabilisierung) in vielen Regionen des Landes kaum möglich ist und die leitlinienkonforme Versorgung oftmals endet, sobald sich das Kriseninterventions- bzw. Notfallseelsorgeteam wenige Stunden nach deren Einsatz zurückzieht. Die Rettungskette gleicht somit aktuell einzelnen, voneinander losgelösten Gliedern:
Abbildung 3: Tatsächliche psychosoziale Rettungskette.
Gerade im Katastrophen-, Bündnis- und Verteidigungsfall ist eine aufeinander abgestimmte psychosoziale Rettungskette und die dadurch reduzierte Auftretenswahrscheinlichkeit behandlungsbedürftiger Traumafolgestörungen unerlässlich, um die stark begrenzten Ressourcen an psycholo-gischem, insbesondere aber auch psychotherapeutischem und psychiatrischem Fachpersonal möglichst effizient einsetzen zu können.
Wir fordern daher eine strukturell verankerte Verzahnung der Elemente der psychosozialen Rettungskette durch – von staatlicher Seite initiierte und moderierte – Absprachen zwischen den Akteur*innen sowie durch eine substantielle Stärkung derzeit beeinträchtigter Elemente der Kette.
Forderung 3:
Es müssen verstärkt sekundärpräventive Interventionen nach potenziell traumatischen Ereignissen eingesetzt und in der Finanzierung strukturell abgesichert wer-den.
Die Versorgung der psychischen Gesundheit ist in Deutschland traditionell stark mit dem Approbationsvorbehalt verbunden: Eine strukturell verankerte und (über die Krankenkassen finanzierte) kostenfreie Versorgung von Menschen mit psychischen Belastungen erfolgt im Regelfall erst nach der Manifestation psychischer Erkrankungen in Form von heilkundlicher Behandlung.
Der Symptombereich des psychischen Traumas stellt hier allerdings einen Sonderfall dar, der eine deutliche Verbesserung der Versorgung von Betroffenen bei gleichzeitiger Schonung der kostenintensiven heilkundlichen Strukturen ermöglicht: Traumata sind an spezifische Ereignisse gekoppelt und eine behandlungsbedürftige Traumafolgestörung entwickelt sich erst mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Wochen von diesem Ereignis. Das ermöglicht die Implementierung spezifi-scher sekundärpräventiver Maßnahmen während der vier- bis sechswöchigen Stabilisierungsphase, die die individuelle Resilienz Betroffener fördern bzw. deren Selbstheilungskräfte aktivieren können und somit die Wahrscheinlichkeit einer späteren Manifestation von Traumafolgestörungen reduzieren.
Speziell für diese sekundärpräventiven Maßnahmen sind die vom BDP zertifizierten Fachpsycholog*innen Notfallpsychologie qualifiziert. Ergänzend zum Grundstudium in Psychologie (M.Sc. oder äquivalent) und einer dreijährigen Berufserfahrung im Bereich der Psychotraumatolo-gie haben diese ein umfangreiches notfallpsychologisches Curriculum durchlaufen, das sie zu Ex-pert*innen insbesondere für den Zeitbereich der hier relevanten Stabilisierungsphase macht. Keine andere Berufsgruppe ist vergleichbar ausgebildet und spezialisiert wie die Fachpsycholog*innen Notfallpsychologie. Sie verfügen über ein breites Repertoire an Methoden zur Abmilderung von Belastungsspitzen, zur Aktivierung von Ressourcen und Selbstheilungskräften, zur Früherkennung von Risikofaktoren für spätere Traumafolgestörungen und zur systematischen Planung von auf individuelle Bedürfnisse und Bedarfe ausgerichtete Weiterversorgungsstrategien.
Damit sind Fachpsycholog*innen Notfallpsychologie in besonderer Weise geeignet, potentiell traumatisierte Einzelpersonen, Einsatzkräfte, Familien, Gruppen und Organisationen in den Tagen und Wochen nach Krisenereignissen kompetent zu begleiten und zu beraten. Da freiberufliche Fachpsycholog*innen Notfallpsychologie ihre Dienste derzeit jedoch weder über Krankenkassen noch über Unfallversicherungsträger abrechen können und Betroffene die Honorare deshalb privat zahlen müssen, kommt notfallpsychologische Beratung aktuell nur vergleichsweise selten und insbe-sondere bei sozioökonomisch bessergestellten Personen und Oranisationen zum Einsatz. Das stellt eine eklatante Versorgungslücke dar – die in der Praxis dann erst viele Monate später und mit erheblich höherem finanziellen Aufwand nach der Manifestation von Traumafolgestörungen durch heilkundliche Interventionen aufgefangen werden kann.
Wir fordern daher die Einrichtung einer Abrechnungsmöglichkeit notfallpsychologischer Beratung über Krankenkassen und Unfallversicherungsträger im Umfang von regulär bis zu sechs Sitzungen in den Wochen nach einem Krisenereignis durch zertifizierte Fachpsycholog*innen Notfallpsychologie.
Forderung 4:
Auf regionaler Ebene müssen Koordinierungsstellen des psychosozialen Krisenmanagements eingerichtet werden.
Eine bedarfsgerechte Versorgung einer hohen Zahl potentiell traumatisierter Menschen im Katastrophen-, Bündnis- oder Verteidigungsfall erfordert zum einen ein erhebliches Maß an Koordinierung zwischen den zahlreichen, multiprofessionellen Akteursstrukturen der psychosozialen Akutversorgung und der mittel- und langfristigen psychosozialen Weiterversorgung; zum anderen aber auch umfangreiche Konzeptarbeit zur Implementation von skalierbaren Versorgungsansätzen aus dem Bereich der Katastrophenpsychologie (vgl. gestufter Versorgungsansatz gemäß der IASC MHPSS Pyramide der WHO), zur Unterstützung einer koordinierten Risiko- und Krisenkommunikation mit der Bevölkerung, zur fachlichen Beratung von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern und gegebenenfalls auch zur Koordinierung von zivilgesellschaftlichem Engagement („Spontanhilfe“ als ein zentrales Werkzeug zur Steigerung der psychischen Resilienz durch Förderung der Selbstwirksamkeit).
Diese in solchen Szenarien für die psychische Gesundheit der Bevölkerung unerlässlichen Aufgaben können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie in hauptamtlicher Weise bearbeitet werden können, an den entscheidenden staatlichen Stellen verortet sind (untere Katastrophenschutzbehörde oder Gesundheitsamt) und die für das psychosoziale Krisenmanagement Verantwortlichen bereits vor Eintreffen des Katastrophen-, Bündnis- oder Verteidigungsfalles strategische Vorbereitungen ausarbeiten können.
Wir fordern daher die Einrichtung einer hauptamtlichen – und nur für diesen Bereich zuständigen – Koordinierungsstelle Psychosoziales Krisenmanagement in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt in Deutschland.
Hinweis: Ergänzend zur strategisch-planerischen Konzept- und Koordinierungsarbeit könnten diese auch in die operative Arbeit eingebunden werden und dabei das Versorgungselement der psychologischen Stabilisierung durch notfallpsychologische Beratung von potentiell traumatisierten Menschen (nach der Erststabilisierung durch die PSAH und vor einer ggf. erforderlichen heilkundlichen Psychotherapie) fundamental unterstützen.
Forderung 5:
Die kontinuierliche Weiterentwicklung der PSNV in Deutschland und verzahnten Planungen muss unter Beteiligung aller relevanten Akteur*innen und Fachverbände auf Landes- und Bundesebene erfolgen
In den Jahren 2007 bis 2010 erlebte die Psychosoziale Notfallversorgung in Deutschland eine we-sentliche Weiterentwicklung und Standardisierung in Form des vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) moderierten „Konsensus-Prozess PSNV“. Zahlreiche Akteur*innen und Fachverbände dieses Themenbereichs – unter anderem auch der BDP – wurden eingeladen, sich zu grundsätzlichen Fragestellungen auszutauschen. Ergebnis dieses Prozesses war ein Set von 25 konsensual verabschiedeten Leitlinien, die grundlegende organisatorische und fachliche Fragestellungen der PSNV einheitlich regeln sollten.
Seit dem Abschluss dieses Konsensus-Prozesses im Jahr 2010 hat sich die PSNV in Deutschland deutlich weiterentwickelt. Insbesondere wurden mittlerweile in fast allen Bundesländern hauptamtliche Landeszentralstellen oder Landesbeauftragte für die PSNV eingerichtet, i.d.R. in den Innenresorts dieser Länder oder nachgeordneten Behörden. Diese Entwicklung begrüßt der BDP ausdrücklich.
Gleichwohl ist die fachliche und organisatorische Weiterentwicklung der PSNV seitdem ins Stocken geraten: Die Landeszentralstellen und Landesbeauftragten der Länder sind weiterhin im Rahmen einer „Länderübergreifenden Facharbeitsgruppe PSNV“ in regelmäßigem Kontakt. Eine systematische, strukturell verankerte Abstimmung mit den zahlreichen Akteur*innen und Fachver-bänden der PSNV – von Trägerorganisationen der Psychosozialen Akuthilfe über Vertreter des Ge-sundheitswesens bis hin zum BDP – findet dagegen seit dem Konsensus-Prozess auf Bundesebene nicht mehr statt. Jährliche Einladungen zu einem vom BBK veranstalteten Fachsymposium sind dabei kein Ersatz für strukturierte Austausch- bzw. Abstimmungsformate.
Die Erarbeitung einheitlicher fachlicher, organisatorischer und taktischer Standards gerade für den auf Bundesebene geregelten Zivilschutz ist unerlässliche Basis für erfolgreiches Arbeiten im Bündnis- und Verteidigungsfall. Solche Standards können nicht ohne diejenigen Organisationen und Berufsgruppen erarbeitet werden, die diese in solchen Szenarien dann auch umsetzen sollen. Daher fordern wir die Einrichtung eines regelmäßig zusammentretenden Gremiums zur Wei-terentwicklung der PSNV, besetzt mit den Ländervertreter*innen, aber auch mit allen auf Bundesebene relevanten Akteur*innen und Fachverbänden mit Bezug zur PSNV. Dies kann analog zum Vorgehen in vielen Bundesländern geschehen, in denen den Landeszentralstellen bzw. Landesbeauftragten entsprechende „Landesbeiräte PSNV“ (o.ä. Bez.) zur Seite gestellt werden.
Fazit
Die psychische Resilienz der Bevölkerung ist ein entscheidender, bislang jedoch massiv vernachlässigter Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit im Katastrophen-, Bündnis- und Verteidigungsfall. Erfahrungen aus internationalen Krisen- und Kriegssituationen belegen eindeutig, dass psychische Traumatisierungen in solchen Szenarien häufige und schwerwiegende Folgen sind – sowohl bei Einsatzkräften als auch in der Zivilbevölkerung. Dennoch fehlt der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) bislang die rechtliche Verankerung als eigenständiger Aufgabenbereich im Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz. Dies hat zur Folge, dass PSNV-Strukturen nicht mit den nötigen Ressourcen ausgestattet sind, um im Krisenfall wirksam, systematisch und flächendeckend zu helfen.
Verschiedenste Professionen – von den ehrenamtlichen Einsatzkräften der Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams über Notfallpsycholog*innen, Gesundheitspsycholog*innen, klinische Psycholog*innen, Schulpsycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen und Seelsor-ger*innen bis hin zu Psychologischen Psychotherapeut*innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen und Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie (um nur einige zu nennen) – müssen strukturell abgestimmt, systematisch aufeinander aufbauend und eng verzahnt miteinander arbeiten können, um die psychosoziale Rettungskette aufrecht zu erhalten. Das gilt in individuellen Krisenereignissen einzelner Betroffener ebenso wie im Katastrophen-, Bündnis- und Verteidigungsfall mit potentiell hunderttausenden psychisch belasteten Bürger*innen.
Eine robuste psychosoziale Infrastruktur – mit klarer gesetzlicher Verankerung, verlässlicher Finanzierung, regionaler Koordination und systemischer Verzahnung aller Versorgungsstufen – ist somit kein optionales Add-on, sondern eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. Die Stärkung der psychischen Gesundheit muss dabei als integraler Baustein verstanden werden, um Deutschlands Resilienz umfassend zu denken und zu gestalten.
Für einen Austausch stehen wir sehr gern zur Verfügung.
Ihre Ansprechpersonen
| Thordis Bethlehem | Florian Stoeck |
| Präsidentin BDP | Leiter der Fachgruppe Notfallpsychologie in der Sektion Klinische Psychologie im BDP |
| E-Mail: t.bethlehem@bdp-verband.de | E-Mail: florian.stoeck@notfallpsychologie.net |
1 „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein.“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, 5.6.2024