Weitgehender Ausschluss des Umgangsrechts
§ 1684, 1666, 1666a BGB
Das Umgangsrecht des Kindesvaters kann wegen Kindeswohlgefährdung auf briefliche Kontakte und Geschenksendungen beschränkt werden, wenn die betroffenen Kinder durch die erfahrene Gewaltanwendung des Kindesvaters gegenüber der Kindesmutter stark traumatisiert sind und von daher unmittelbare persönliche und telefonische Kontakte negativen Einfluss auf die seelisch-geistige Entwicklung haben können.
OLG Köln, Beschluss vom 06.12.2010 – 4 UF 183/10
Sachverhalt
Das AG Brühl beschränkte das Umgangsrecht des Antragstellers, einem alkoholerkrankten und häusliche Gewalt ausübenden Vater, mit seinen drei Kindern u.a. darauf, dass er diesen gelegentlich Briefe schreiben und zu ihren Geburtstagen, zu Weihnachten und anderen hohen Feiertagen Geschenkpakete schicken durfte. Die dagegen vom Vater eingelegte Beschwerde wurde vom OLG Köln mit Beschluss vom 06.12.2010 auf Kosten des Antragstellers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Einschränkungen des Umgangsrechts auf Antrag des Antragstellers nach einem Jahr ab Rechtskraft dieser Entscheidung überprüft werden können.
Entscheidung
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers war unbegründet, da unter dem Gesichtspunkt der Kindeswohlgefährdung gemäß §§ 1666, 1666a BGB das Umgangsrecht auf briefliche Kontakte und evt. Bildinformationen – was das Familiengericht noch zu entscheiden hat – zu beschränken ist. Die Beschränkung des Umgangsrechts trage dem Umstand Rechnung, dass die betroffenen Kinder durch die erfahrene Gewaltanwendung des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin, der Kindesmutter, stark traumatisiert seien und von daher unmittelbare persönliche (Telefon-)Kontakte derzeit jedenfalls auf die seelisch-geistige Entwicklung negativen Einfluss haben könne, was das Jugendamt im Einzelnen dargestellt habe. In deren Bericht sei insbesondere geschildert, dass die Kinder den Vater derzeit ablehnten und Angst vor ihm hätten. Soweit der Kindesvater einwende, er habe sich einer Therapie unterzogen, somit die Gefahr von Gewalttätigkeiten nicht mehr bestünde und er zudem nie gegenüber seinen Kindern gewalttätig geworden sei, verkenne er die psychische Situation seiner Kinder. Die Traumatisierung der Kinder, von einer solchen der Senat ohne weitere sachverständige Untersuchung überzeugt sei, rühre von massiver Gewalteinwirkung des Kindesvaters auf die Kindesmutter bis hin zu einem versuchten Tötungsdelikt – unter teilweise hilflosem Beiwohnen der Kinder. Es zeuge von fortdauernder Uneinsichtigkeit des Antragstellers, die massiven Beeinträchtigungen seiner Kinder zu ignorieren und auf direkte Kontakte zu drängen. Es bleibe abzuwarten, wie sich der psychische Zustand des Antragstellers weiter entwickele und welche vetrauensbildenden Maßnahmen erfolgreich in die Wege geleitet werden könnten.
Praxishinweis
Der vorliegende Sachverhalt zeigt eine Fallkonstellation, in der das grundrechtlich geschützte Rechtsgut auf Umgang im Interesse des Kindeswohls einzuschränken ist.
Eine der grundlegenden Annahmen zum Umgang besagt, dass der Umgang mit beiden Elternteilen in der Regel dem Kindeswohl dient. Eine Ausnahme dieser Regelvermutung bietet die Fallgruppe, in der Kinder massive Gewalt zwischen Eltern miterleben mussten.
In 5,9 % aller Familien in Deutschland soll es in unterschiedlicher Form und Entwicklung zu physischer Partnergewalt kommen. Kinder, die unter solchen Umständen aufwachsen, erscheinen in der ganz überwiegenden Mehrzahl belastet (Balloff, DGfPI 2010, 26). Nach verschiedenen Studien liegt die Rate klinisch auffälliger Kinder im Mittel bei 30-40 %. (Kindler/Reinhold, FPR 2007, 291). Unter Bindungsaspekten ist anzumerken, dass die miterlebte Gewalt das kindliche Gefühl emotionaler Sicherheit in der Beziehung zu beiden Eltern untergräbt, da sich in der angstauslösenden Gewaltsituation beide nicht um das Kind kümmern können. Bei der Beantwortung von Umgangsfragen in einem solchen familiären Kontext sind vielfältige Aspekte zu bedenken: So ist eine Instrumentalisierung von Umgangskontakten denkbar, die dazu dienen, weiterhin Kontrolle auszuüben und Angst zu erzeugen. Auch bestehen bei den betroffenen Eltern teilweise erhebliche Einschränkungen in der Fähigkeit zur kindgemäßen Kontaktgestaltung; fraglich ist weiter, welche vertrauensbildenden Maßnahmen durch den gewaltausübenden Elternteil – auch mit Unterstützung professioneller Hilfe Dritter – möglich sind. Weiter bilden einige Kinder teilweise einen dem Umgang entgegenstehenden massiven Willen aus oder der Umgang fungiert als Trigger, also als Auslöser erneuter bzw. verstärkter posttraumatischer Belastungssymptome (Kindler, Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 2009, 110, 111).
Allerdings ist zu bedenken, dass unterschieden werden muss zwischen Belastungen durch Beiwohnen von Gewalt im sozialen Nahraum und selbst erlebter kindlicher Gewalt, deren belastende Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung noch stärker sein können. So weisen Untersuchungen zufolge Kinder nach schwerwiegender Kindeswohlgefährdung auch noch nach Jahren in 60 % bis 80 % der Fälle klinische Auffälligkeiten auf (Kindler/Reinhold, FPR 2007, 291, 2929). Darüber hinaus ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass nicht alle betroffenen Kinder unter der gleichen Schwere der Symptomatik leiden. Während ein Teil eher gering belastet ist, sind andere Kinder besonders schwer beeinträchtigt (s. auch Gasteiger-Klicpera, Psychische Folgen familiärer Gewalt und Vernachlässigung, in: Gasteiger-Klicpera & Kißgen, Bindung im Kindesalter, 2009, 27-37.).
Auch wenn in der vorliegend entschiedenen Fallkonstellation die Belastung der Kinder aufgrund der extremen Gewaltausprägung offenkundig gewesen sein mag, muss jedoch bedacht werden, dass die vorliegenden Schlussfolgerungen nicht ohne Weiteres auf andere Fälle übertragbar sind. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall bei dem im Kontext familiärer Auseinandersetzung nicht selten erhobenen Vorwurf von häuslicher Gewalt eine Einzelfallprüfung notwendig. Es ist insbesondere die Erlebnisbegründetheit von partnerschaftlicher Gewalt, das Widerholungsrisiko, die Fähigkeit der Eltern zur Unterstützung des Kindes bei Kontakten, tatsächliche gewaltbedingte Belastung des Kindes, geäußerter Wille des Kindes und Bewältigungsfähigkeiten des Kindes abzuklären. (s. auch Kindler/Fichtner, FPR 2008, 139,141). Dies wird in familiengerichtlichen Verfahren den Gerichten oftmals nur unter zu Hilfenahme beratender dritter Professionen möglich sein.