Berufsbezeichnung Wirtschaftspsychologe

Artikel aus dem Report Psychologie
Kommentar zum Urteil des Landgerichts München I vom 27.10.16 Az.: 17 HK O 19533/15 (nicht rechtskräftig)

Es geht um die Frage, ob sich ein Professor und Anbieter von Seminaren als „Wirtschaftspsychologe“ bezeichnen darf, wenn er kein Hauptfachstudium der Psychologie mit einem Diplom beziehungsweise äquivalent Bachelor und Master abgeschlossen hat. Der Beklagte hatte allerdings Psychologie als „zweites Hauptfach“ studiert, das im Vergleich zu einem „normalen“ Hauptfachstudium sehr wenig psychologische Inhalte hatte und mit einem Magister Artium abgeschlossen. Im Disput zwischen dem Beklagten und dem BDP hatte der Beklagte auf Focus Online einen Artikel eingestellt, in dem er sich zu der Frage ausgelassen hat, wer den Titel „Wirtschaftspsychologe“ führen darf. Dort äußerte er unter anderem „Selbstverständlich darf ich mich also mit meinen aufgeführten Qualifikationen ‚Wirtschaftspsychologe‘ nennen.“ Parallel ist ein Disput zwischen dem Beklagten und der Journalistin, Psychologin und Redakteurin der BDP-eigenen Zeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“ Bärbel Schwertfeger ausgefochten worden, in dem der Beklagte gegen sie in zweiter Instanz verloren hat.
Der BDP mahnte den Angeklagten im Herbst 2015 erfolglos ab. Das Landgericht München entschied nun auf ganzer Linie entsprechend der sachlichen Argumentation des BDP. Das Landgericht bildete sogar den Focus-Online-Artikel im Urteil ab. Diesen Artikel hatte übrigens Focus Online auf Monierung durch den BDP in einigen Punkten geändert, zum Beispiel in der vormals unzutreffenden Behauptung, der BDP habe 1985 einen Heilpraktiker „bis vor den Bundesgerichtshof gezerrt“, obwohl damals tatsächlich der Heilpraktiker bis vor den Bundesgerichtshof (BGH)zog, was man bei Lektüre des BGH-Urteils mit einem Blick erkennen kann.
In zwei mündlichen Verhandlungen hatte das selbstbewusste Auftreten des anwesenden Beklagten offenbar wenig genützt, ihm fehlten die überzeugenden Argumente. Das Gericht folgte dem BDP in seiner sachlichen Argumentation und urteilte:
„Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen unter der Berufsbezeichnung Wirtschaftspsychologe einen Psychologen, welcher eine besondere Spezialisierung im Bereich der Wirtschaft erlangt hat. Die angesprochenen Verkehrskreise erwarten von einem Wirtschaftspsychologen einen ausreichend ordnungsgemäß ausgebildeten Psychologen und damit eine Person, die ihr psychologisches Studium entweder mit dem Diplom beziehungsweise mit dem Bachelor und einem darauf aufbauenden Masterstudium absolviert hat. Die angesprochenen Verkehrskreise erwarten von einem Wirtschaftspsychologen zunächst einmal, dass es sich um einen Psychologen handelt, so dann, dass es sich um einen Psychologen mit dem Schwerpunkt im Bereich der Wirtschaft handelt, der durch eine Schwerpunktsetzung im Psychologiestudium, oder durch eine Zusatzausbildung zum regulären Psychologiestudium oder auch im Rahmen der praktischen Tätigkeit als Psychologe erworben worden ist. Dass es sich bei Wirtschaftspsychologen zunächst einmal um einen Psychologen handelt, erwarten die Verkehrskreise, ebenso wie sie beispielsweise bei einem Sportjournalisten erwarten, dass es sich dabei um einen fachlich fundiert ausgebildeten Journalisten handelt, der sich auf das Gebiet des Sports spezialisiert hat, ebenso wie sie bei einem Augenarzt erwarten, dass es sich um einen Arzt handelt, der sich auf die Augenheilkunde spezialisiert hat. Bei der Bezeichnung Wirtschaftspsychologe erwarten die Verkehrskreise daher einen fundiert ausgebildeten Psychologen mit einer Schwerpunktsetzung im Bereich der Wirtschaft.
Mit der Bezeichnung ‚Psychologe‘ verbinden die angesprochenen Verbraucher und Verkehrskreise eine Person, die qualifizierte theoretische Kenntniss auf dem Gebiet der Psychologie erworben hat, die insbesondere einer akademischen Ausbildung eines Diplom-Psychologen entsprechen (vergleiche OLG Karlsruhe, Urteil vom 7.09.2007, Aktenzeichen 4 U 24/07, zitiert nach Juris). Ein Psychologe muss nach Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen (vergleiche LG Oldenburg, Urteil vom 23.10.2008, Aktenzeichen 15 O 1295/09, zitiert nach Juris). Von einem Psychologen erwarten die Verkehrskreise eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung (vergleiche BGH, Urteil vom 4.07.1985, Aktenzeichen I ZR 147/83).“

Urteil auch auf andere Berufsbezeichnungen anwendbar
Das Urteils ist auf weitere Berufsbezeichnungen der Psychologen übertragbar: zum Beispiel Rechtspsychologe, Schulpsychologe, Gesundheitspsychologe, Verkehrspsychologe etc. Selbst weniger übliche Bezeichnungen wie zum Beispiel Beratungspsychologe sind mit der Urteilsbegründung erfasst. Nach Sinn und Zweck sind auch zusammengesetzte Begriffe wie „klinischer Psychologe“ oder „politischer Psychologe“ erfasst. Gerade letztgenanntes Beispiel ist lehrreich: Denn wenn sich zum Beispiel ein Arzt „politischer Arzt“ nennen würde, würden die Verkehrskreise eher nicht davon ausgehen, dass der Arzt sein ärztliches Wissen im Bereich der Politologie vertieft hätte; aber das Urteil verdeutlicht, dass mit der Bezugnahme auf die Politologie die Verkehrsauffassung der Berufsbezeichnung Arzt nicht entfällt: Egal, was die Verkehrskreise unter einem „politischen Arzt“ verstehen mögen, sie gehen (trotzdem) zumindest davon aus, dass er Arzt ist. Maßgeblich ist also, dass man sich auf diesem Wege nicht einfach „Psychologe“ nennen kann, ohne ein solcher zu sein.

Titelschutz in der Zukunft
Nach zwei bislang erfolgreichen Musterverfahren kann der Titelschutz in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden. In beiden Verfahren haben die Beklagten massiv damit argumentiert, dass mit und seit dem Bologna-Prozess die Sichtweise des BDP veraltet und unrealistisch sei. In der Tat ist in Zeiten des Bologna-Prozesses die Bildungslandschaft im Wandel: Jenseits der regulierten Berufe sind die Studiengänge und Ausbildungsangebote von klassischen Disziplinen tendenziell losgelöst. Zumindest in der Werbung der Hochschulen ist die Tendenz zur Diversifizierung klar erkennbar und möglicherweise ist dies bildungspolitisch erwünscht. Aber man darf die Frage stellen, was die Diversifizierung und vor allem wem sie etwas bringt. Politisch gesehen soll das Potenzial geschöpft werden, den Markt frühzeitig Spezialisten anzubieten (und die Wirtschaft hofft wohl auch, diese jungen Spezialisten kostengünstiger beschäftigen zu können). Im Blick sollte man allerdings die Studenten sowie alle Kunden anderer Bildungseinrichtungen haben, die mit den zuweilen wenig aussagekräftigen Abschlüssen leben müssen.
Bemerkenswert und symptomatisch ist die Argumentation der Beklagten im Musterverfahren (OLG Schleswig). Dort wurde einerseits argumentiert, seit Bologna sei die Berufsbezeichnung beliebig verwendbar, andererseits wurde in der Bewerbung des Ausbildungsangebots zentral und quasi selbsterklärend die Berufsbezeichnung „Psychologe“ in den Mittelpunkt gestellt. Und zwar offensichtlich, weil die Interessenten eben nicht denken, diese Berufsbezeichnung könne ohnehin jeder beliebig verwenden, sondern umgekehrt, weil damit eine bestimmte Qualifikation und ein bestimmtes Ansehen von den Kunden damit verbunden werden.
Ein verbreitetes Argument ist zudem, dass Studiengänge akkreditiert werden und damit das Führen einer Berufsbezeichnung legitimiert sei. Dabei handelt es sich allerdings um ein Missverständnis über Kriterien und Stellenwert der Akkreditierung. In der diversifizierten Bildungslandschaft ist die Zugehörigkeit zu einem Berufsbild nicht Gegenstand der Akkreditierung. Geprüft werden sachliche und personelle Ausstattung, Studierbarkeit innerhalb der vorgegebenen Zeit, Plausibilität der Darstellung von Arbeitschancen der Absolventen und hinreichende Beschreibung der Inhalte, Vermittlungsformen und Prüfungsleistungen. Mit der Akkreditierung wird ein akademischer Grad festgelegt, jedoch keine Berufsbezeichnung und keine Zugehörigkeit zu einem Berufsbild und auch keine inhaltliche Verbindung zum Namen des Studiengangs geprüft. Dadurch sind alle denkbaren Mischungen bestehender Fachdisziplinen in Verbindung mit frei gewählten Bezeichnungen des Studiengangs möglich.
Deshalb muss man kritisch anmerken, dass bei einer Diversifizierung der Bildungslandschaft, in der mit Berufszeichnungen geworben wird, vor allem die werbenden Bildungseinrichtungen profitieren, deren Kunden nicht ohne weiteres, wenn sie später mit der erhofften und gar suggerierten Berufsbezeichnung mit dem Wettbewerbsrecht konfrontiert werden.

Was sind Berufsbezeichnungen noch wert?
Aber noch allgemeiner stellt sich die Frage, ob es gesellschaftlich erwünscht ist, dass die Bedeutung von Berufsbezeichnungen verflacht, sich sogar verflüchtigt. Kunden, Verbraucher und Märkte orientieren sich – noch – an der plakativen Wirkung der Verwendung von Berufsbezeichnungen: Wer so auftritt, wird den Beruf wohl können (natürlich orientiert sich der Markt noch an anderen Kriterien). Will man das Szenario überzeichnen, bekäme man zukünftig innerhalb von drei bis fünf Jahren interessante Berufe gleich im halben Dutzend und würde sich je nach Gelegenheit die passende Berufsbezeichnung an den Hut heften. Mithin würde die Bedeutung von Berufsbezeichnungen hinfällig, sie wären nichts mehr wert. Allerdings würde noch einige Zeit ein beträchtlicher Teil der Verbraucher, der noch an die Verlässlichkeit der Bezeichnungen glaubt, in die Irre geführt. Sieht man einerseits die streng regulierten Berufe wie den Arzt oder den Psychotherapeuten, deren Berufsbezeichnungen aus guten Gründen zum Schutz der Bevölkerung unter dem Vorbehalt der Approbation stehen und andererseits den Markt psychologischer oder psychologienaher Dienstleistungen, mit denen in Gesundheit, Bildungschancen, Familien oder Arbeitsbedingungen eingegriffen wird, wäre das Auseinanderfallen der Bedeutung der Berufsbezeichnungen unangemessen.
Vielleicht findet das mancher nicht so schlimm – aber zumindest Bildungsanbieter würden schnell merken, dass das Marketing mit Berufsbezeichnungen letztlich ein Strohfeuer gewesen wäre; das hätte nur kurzfristig funktioniert, bis es die Nachfragerseite gelernt hätte.
Womit sollen Freiberufler ohne streng regulierten Beruf sonst werben, wenn die Berufsbezeichnungen ihr Kompetenzversprechen und somit an Orientierungskraft verlieren würden? Bildungsverläufe werden individueller und vielschichtiger und natürlich soll und muss man mit diesem diversifizierten Bildungsstand auftreten und werben. Aber wer liest schon lange Lebensläufe – der Wunsch, seine Qualifikation auf den Punkt zu bringen und schlagwortartig zu bezeichnen, ist verständlich. Sein Heil in der Verwendung von Substantiven und Adjektiven zu suchen, wird nicht fruchten. Wer zum Beispiel mit „Entwicklungspsychologie“ auftritt, wird den Adressaten in der Ungewissheit lassen, welche Qualifikation beziehungsweise Qualität damit verbunden ist: Ein wissenschaftliches Psychologiestudium mit abgeschlossenen Bachelor und Master als Background ? Oder doch nur der Volkshochschulkurs …

Der nicht konsekutive Master – Potenzial zur Irreführung
Dennoch ist erwartbar, dass einige Bildungsanbieter versuchen werden, Substantive zu vermarkten, am besten im Zusammenhang mit einem akademischen Grad, zum Beispiel „Master in Wirtschaftspsychologie“. Bildungsinteressierte und später ihre Kunden würden (vorerst) nicht ohne Weiteres erkennen können, dass das kein Psychologe ist und auch – gegebenenfalls bei Weitem – keine vergleichbare Qualifikation vorliegt. Dies wäre der Fall gewesen, wenn das OLG Schleswig nicht dem BDP sondern den Vorstellungen des privaten Anbieters gefolgt wäre, der meinte mit einem einjährigen Fernkurs zur Tätigkeit als „Betriebspsychologe“ ausbilden zu können. Insbesondere sogenannte Zertifikatskurse und nicht konsekutive Master und deren potenziell irreführende Bewerbung lassen die Tendenz erkennen, die Unkenntnis der Märkte über die erhebliche qualitative Differenz zwischen konsekutivem Master und anderen Bildungsprofilen auszunutzen. Gleiches trifft auf einige Bachelorprogramme in Wirtschaftspsychologie an Hochschulen zu, deren Psychologieanteil unterhalb von anderthalb Jahren liegt.
Allen Mitgliedern wird deshalb angeraten, bei jeder sich bietender Gelegenheit zu verdeutlichen, dass prinzipiell ein Psychologe etwas ganz anderes ist als ein Anbieter, der mit irgendeinem Anwendungsgebiet der Psychologie wirbt. Die Berufsbezeichnung „Psychologe“ ist schlagwortartig ein Zeichen hoher Qualität, die Bewerbung mit einem Substantiv „… Psychologie“ hingegen vergleichsweise unbedeutend und unklar – selbst wenn ein Master hinzugefügt wird. Der BDP wird sich deswegen weiterhin stark zum Schutz der Berufsbezeichnung und damit auch dem der Klienten und Kunden psychologischer Dienstleistungen engagieren. Im Einzelfall wird sich der BDP selbstverständlich vorbehalten zu prüfen, ob mit einem Master zum Beispiel „Master in Wirtschaftspsychologie“ nicht doch die Suggestion und Irreführung vorliegt, Psychologe zu sein.

Jan Frederichs & Fredi Lang

Autor:
Jan Frederichs & Fredi Lang
Veröffentlicht am:
Logo Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.

Wir unterstützen alle Psychologinnen und Psychologen in ihrer Berufsausübung und bei der Festigung ihrer professionellen Identität. Dies erreichen wir unter anderem durch Orientierung beim Aufbau der beruflichen Existenz sowie durch die kontinuierliche Bereitstellung aktueller Informationen aus Wissenschaft und Praxis für den Berufsalltag.

Wir erschließen und sichern Berufsfelder und sorgen dafür, dass Erkenntnisse der Psychologie kompetent und verantwortungsvoll umgesetzt werden. Darüber hinaus stärken wir das Ansehen aller Psychologinnen und Psychologen in der Öffentlichkeit und vertreten eigene berufspolitische Positionen in der Gesellschaft.

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen