Warum begehen wir den Internationalen Tag gegen Rassismus?
Interview mit Dr. Meltem Avci-Werning, Präsidentin des BDP, anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21. März.
Woher kommt dieser Gedenktag?
Dr. Meltem Avci-Werning: Am 21.März 1960 wurden bei einer Demonstration gegen diskriminierende Passgesetze mit rund 20.000 Menschen im südafrikanischen Sharpeville in der damaligen Provinz Transvaal 69 Demonstrierende von der Polizei erschossen (darunter auch Kinder), mindestens 180 Menschen wurden verletzt. Damals herrschte in Südafrika das Apartheid-Regime. Dieser Tag ging als Massaker von Sharpeville in die Geschichte ein. Ich selbst habe die Gedenkstätte in Sharpeville besucht. Der Schrecken dieses furchtbaren Ereignisses ist heute immer noch sichtbar, das Land ist bis heute durch die Apartheid traumatisiert. Im Jahre 1966 rief dann die Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer Resolution den 21. März den „Internationalen Tag für die Beseitigung der Rassendiskriminierung“ aus.
Was besagt die Resolution der Vereinten Nationen?
Dr. Meltem Avci-Werning: Rassistische Diskriminierung und Apartheid, so heißt es in der Resolution, seien eine Verleugnung der Menschenrechte, fundamentaler Freiheiten und Gerechtigkeit sowie ein Vergehen an der Menschenwürde. Im Jahre 1979 wurden die Mitgliedstaaten der UN eingeladen, jährlich eine Aktionswoche zur Solidarität mit den Gegnern und Opfern von Rassismus zu veranstalten. Diese Aktivitäten sollten zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung veranstaltet werden.
Warum möchte der BDP auf den Internationalen Tag gegen Rassismus aufmerksam machen?
Dr. Meltem Avci-Werning: Zum einen: Im BDP sind Menschen aus unterschiedlichsten Nationen, ethnischen Gruppen und Religionszugehörigkeiten vereint. Zum anderen: Der Verband setzt sich mit seiner Arbeit für Menschen aus unterschiedlichsten Nationen, ethnischen Gruppen und Religionszugehörigkeiten ein. Wir sind der Meinung, dass Rassismus zerstörerisch ist und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt massiv beeinträchtigt. Wir möchten uns geschlossen dagegen auflehnen. Die Psychologie ist eine Disziplin, die explizit zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit forscht und Unterstützungsangebote für betroffene Personen wie auch Konzepte für die Reduktion von Rassismus zur Verfügung stellt. Seit vielen Jahren arbeitet ein Arbeitskreis an Themen zur ´Inklusion und Integration´ im BDP. Im Februar 2020 haben wir zudem einen Arbeitskreis "Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Antworten der Psychologenschaft zu Rassismus, Extremismus, Antisemitismus" im Präsidium einstimmig beschlossen und gegründet. Im vergangenen Jahr hat der BDP das Thema ´Heterogenität verbindet´ zum Jahresschwerpunkt gehabt. Wir führen seitdem, z.B. im BDP Expert Talk, verschiedene Aktivitäten durch, die in der Pandemie im digitalen Format stattfinden konnten. Wir veröffentlichen Stellungnahmen und Pressemitteilungen, um auf Missstände hinzuweisen und uns zu positionieren.
Ist es auch in Zeiten der Corona-Pandemie wichtig, über fremdenfeindliche Ressentiments und rechten Terror zu sprechen?
Dr. Meltem Avci-Werning: Natürlich! Weltweit erleben wir eine Krise, die so noch nie dagewesen ist. Die Ausbreitung des Virus stellt eine große Zerreißprobe für den Zusammenhalt der Gesellschaft und einen Test der Solidarität dar. Wir können noch nicht sagen, welche langfristigen Folgen eine längere Zeit der Isolation auf den Zusammenhalt haben wird. Einzelne Studien wie z.B. die COSMO-Studie zeigen allerdings auf, dass bereits jetzt ein Großteil der Befragten ausgelöst durch die Pandemie Belastung erleben. Wir müssen uns gegen jegliche Ausgrenzung wehren und uns jetzt besonders gegen Rassismus und Ethnozentrismus auflehnen.
Wie erleben Sie die Stimmung gerade?
Dr. Meltem Avci-Werning: Die Welt erlebt gerade mit der Pandemie eine Ausnahmesituation, auf die wir alle emotional nicht vorbereitet waren. Wir sind sozusagen Betroffene und Fachleute zugleich. Aufgrund der Sorge zu erkranken, die Arbeit zu verlieren gibt es Panikreaktionen und viele Menschen leiden auch langfristig unter den Folgen. Wir haben in zwei Stellungnahmen der deutschen Psychologieorganisationen bereits darauf hingewiesen. Sehr schnell können die Geduld und Solidarität kippen und zu Wut und Ausgrenzung führen. Genau hier müssen wir Konzepte zum Abbau von Diskriminierung, Rassismus und Ethnozentrismus vorlegen. Wie gesagt: wir als Berufsgruppe besitzen die Expertise für Abbau von und Umgang mit Rassismus und Diskriminierung!
Warum ist es wichtig, ausgerechnet in der aktuellen Lage dieses Thema zu fokussieren?
Dr. Meltem Avci-Werning: Ganz im Gegenteil, wir sind der Meinung, dass wir als Berufsverband auf Probleme aufmerksam machen müssen, bei denen Menschen mit Migrationsbiografie oder People of Colour in dieser Zeit besonders von Diskriminierung betroffen sind. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete in 2020 eine enorme Zunahme von Diskriminierungsfällen, davon über 70 % rassistischen Inhalts, z.B. Beleidigungen aber auch körperliche Angriffe. Nicht selten sind Kinder und Jugendliche hiervon betroffen. Wir wissen nicht, wie lange die Krise andauern wird und welche weiteren Beschwerlichkeiten auf uns zukommen werden. Wir müssen beobachten, dass trotz bedrohlicher Lage, Menschen abgeschoben und in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen, z.B. wie in Moria.
Wo fängt aus Ihrer Sicht Rassismus an?
Dr. Meltem Avci-Werning: Natürlich gibt es Instrumente, mit denen wir arbeiten, um Einstellungen gegenüber Gruppen zu messen. Es gibt Ergebnisse die zeigen, dass solche Menschen die gegenüber Menschen mit Migrationsbiografie oder People of colour diskriminierend sind, auch gegenüber Frauen und Menschen mit Behinderungen ablehnende oder diskriminierende Einstellungen haben. Neuerdings zeigt sich bei diesen Personengruppen auch vermehrt eine Leugnung der Klimakrise.
Individuell erleben betroffene Menschen Rassismus und Diskriminierung sehr unterschiedlich. Viele Menschen mit Migrationsbiografie, zu denen ich ja auch gehöre, werden immer an der Ähnlichkeit an der jeweiligen Bevölkerung gemessen, in der sie leben. Das bedeutet, wenn ich mich von „den Deutschen“ z. B. im Aussehen, in den erwarteten Verhaltensweisen und den Einstellungen wenig unterscheide, dann gehöre ich praktisch schon zur Ingroup. Aber auch hier muss man ja wissen, dass der „typische Deutsche“ sich dann ja auch selbst stereotypisiert… Rassismus funktioniert ja nur, wenn die Mitglieder der Ingroup möglichst gleich und die Anderen maximal anders wahrnehmen… das ist der Denkfehler an sich.
Was bedeutet ´dazugehören´?
Dr. Meltem Avci-Werning: Jeder Mensch möchte sozial eingebunden sein. Interessant ist, dass dieses Bedürfnis sich auf einem Kontinuum bewegt. Jeder Mensch will so sein wie die anderen und dazugehören… gleichzeitig will jeder Mensch auch ganz besonders sein, „wie kein anderer“, ein unverwechselbares Individuum. Das hängt davon ab, in welcher Situation wir uns gerade befinden. Klingt eigentlich trivial, ist aber in Gruppensituationen sehr relevant. Wir identifizieren uns mit verschiedenen Aspekten unseres Lebens, eben auch mit unserer Hautfarbe, Religion, dem Ort unserer Geburt, auch mit unserem Beruf. Ich gehöre z. B. der Gruppe der Psychologinnen und Psychologen an und identifiziere mich mit dieser Gruppe. Ich möchte natürlich, dass diese Gruppe positiv gesehen wird, gut da steht gegenüber anderen Gruppen und ich mich wohl fühlen kann, Mitglied meiner Gruppe zu sein. Das ist ein natürliches Bedürfnis.
Das Problem fängt ja auch viel früher an. Lange bevor es zu schrecklichen Attentaten und Gewalt gegenüber Menschen mit anderer ethnischer Herkunft, Hautfarbe und Religion kommt. Viele berichten, dass Rassismus in Deutschland Alltag ist und dagegen müssen wir uns viel deutlicher verhalten. Mit den kleinen Sticheleien und „dummen“ Äußerungen werden zwar alle irgendwie fertig, aber sie sind eben der Nährboden. Wenn Schülerinnen und Schüler in den Schulen „du bist doch behindert“ rufen oder „du Jude“ als Schimpfwort verwenden, fallen wieder die Grenzen. Wir beginnen in unserer Sprache zu verrohen und plötzlich sind bestimmte Ausdrücke wieder „in Ordnung“ oder „nicht so gemeint“ und gehen dann irgendwann in den normalen Sprachgebrauch über oder werden sogar als Spaß angesehen. Dagegen müssen wir ganz früh und sehr konsequent vorgehen: In der Familie, in der Kita, in der Schule, im Beruf und auch im zwischenmenschlichen Umfeld.
Was kann jeder Einzelne machen, um gegen Rassismus anzugehen?
Dr. Meltem Avci-Werning: Der erste Schritt ist, Rassismus als solchen zu erkennen. Viele tun rassistische Äußerungen immer noch als Spaß oder als nicht ernst gemeint ab. Es gibt immer Situationen, in denen wir uns bei schwierigen Äußerungen positionieren und Flagge zeigen können. Rassismus gibt es eben in unterschiedlichen Facetten, in der Berufswelt, in Freundschaftsgruppen, auf der Straße, im Supermarkt. Jeder kann etwas dagegen tun und sich gegen Rassismus einsetzen. Bei der „Black Lives Matter“-Bewegung sehen wir, wie viele Menschen auf der ganzen Welt gegen Rassismus auf die Straße gehen. Das ist wichtig und zeigt solidarisches Denken und Verhalten. Oft ist Zivilcourage gefragt, aber nicht jede bzw. jeder kann und sollte auch in jeder Situation reagieren. In erster Linie gilt es immer, zunächst sich selbst zu schützen. Rassistische Angriffe gegenüber People of Colour und Menschen mit Migrationsbiografie haben zugenommen und wir müssen dagegen aufstehen. Unser Beitrag als Psychologenschaft kann sein, auf Missstände hinzuweisen und mit unserer Expertise, Angebote für eine Gesellschaft mit Zusammenhalt und Solidarität zu machen.
Es bleibt wichtig gemeinsam gegen Rassismus vorzugehen, als Einzelner und in der Gruppe oder eben als Berufsverband. Das tun wir… regelmäßig… und heute am internationalen Tag gegen Rassismus eben auch!
Das Interview mit der Präsidentin führte die Pressereferentin des BDP.
Englische Version des Interview mit Dr. Meltem Avci-Werning, Präsidentin des BDP, anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21. März.