Stellungnahme des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes
Stellungnahme
Berlin, 12.12.2024
Änderungen im „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ und Änderungen im „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“
Vorbemerkung
Die Verstärkung und Verbreiterung von Maßnahmen zur Prävention von Gewalttaten im wird aus Sicht des BDP insbesondere mit Blick auf das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt in hohem Maße begrüßt. Interventionsprogramme zu Verhaltensänderungen sind prinzipiell wirksam und daher lohnenswert, auch wenn damit nicht alle Täter von ihrem Vorsatz abgehalten werden können. Eine hohe Wirksamkeit solcher Präventionsmaßnahmen erfordert deren Ausbau sowohl im Umfang als auch in der Qualität. Zu den einzelnen Passagen kommentiert der BDP wie folgt:
Zu Artikel 1, § 1 Absatz 1
Die Erleichterung der Möglichkeit zur Anordnung von Maßnahmen ohne besondere Hürden bzw. Begründungen wird sehr begrüßt.
Zu Artikel 1, § 1 Absatz 4
Der BDP schlägt vor, die Begrifflichkeit „sozialer Trainingskurs“ im gesamten Text durch die Formulierung „sozialpsychologisches Trainingsprogramm“ zu ersetzen.
Begründung:
Im Hinblick auf die Regelungen in Abs. 4, die sich auf „soziale Trainingskurse“ beziehen gibt der BDP folgendes zu bedenken. Die Begrifflichkeit „sozialer Trainingskurs“ ist aus unserer Sicht nicht ausreichend passend, da es dabei nicht um Veränderungen von sozialen Aspekten, sondern von Sozialverhalten, Einstellungen und Verhaltensorientierungen und -bereitschaften handelt. Hier geht es in den Trainings mehr um psychologische Phänomene im Einzel- und Gruppenkontext als um die bloße Vermittlung von Wissen über sozial angepasstes Verhalten.
In der Begründung wird dieser inhaltliche Unterschied bereits dadurch deutlich, dass erwähnt wird, dass entgegen der Richtlinien einzelner Anbieter zum Ausschluss nicht ganz williger Täter, bei diesen Verhaltensänderungen auch dann erzielt werden können, wenn zu Beginn keine explizite Bereitschaft zur Teilnahme am Kurs bestand.
Der in der Begründung folgende Hinweis, dass Richter daher auch in eigenen Ermessen entgegen einer Bereitschaft des Täters zur Teilnahme eine Anordnung verfügen können, ist daher sinnvoll, macht aber auch zur besseren Einschätzung das Angebot einer entsprechenden Fortbildung für Staatsanwälte und Richter erforderlich.
Aus Sicht des BDP geht es insofern in besonderem Maße darum, solche Programme möglichst effektiv zu gestalten und die psychologischen Mechanismen bei solchen Gruppentrainings gezielt zu nutzen. Dazu bedarf es profunder Kenntnisse über die menschliche Psyche, über sozialpsychologische Dynamiken und kommunikationspsychologische Wirkmechanismen in Gruppen und das sowohl in der Konzepterstellung als auch in der Durchführung in Evaluation. Wenngleich zu Recht festgestellt wird, dass prinzipiell Täterarbeit keine Psychotherapie darstellt, so geht sie doch über erzieherische Interventionen weit hinaus und benötigt vertieftes Wissen zum Erleben, Verhalten, Denken und Fühlen von Menschen.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist keine psychische Erkrankung, allerdings weisen einige Täter eine hohe psychische Komorbidität bzw. psychopathologische Merkmale auf (Persönlichkeitsstörungen, psychoaffektive Störungen). Täterprogramme sollten mit einem sozial und klinisch-psychologischen Ansatz gestaltet und ausgestattet sein, der zudem systemische und geschlechtsspezifische (Gender-Perspektive) Dimensionen berücksichtigt. Ein professioneller Umgang mit klinischen Besonderheiten kann zur Inanspruchnahme weitergehender therapeutischer Leistungen hinleiten.
Zur Begründung zu Artikel 1, § 1 Absatz 4
Der BDP schlägt vor, auch in der Begründung die wissenschaftliche Basis der Täterarbeit deutlich herauszustellen und die Begrifflichkeit „sozialer Trainingskurs“ in der Begründung an allen Stellen zu ersetzen durch „sozialpsychologisches Trainingsprogramm“.
Im Hinblick darauf, dass es darum geht, möglichst viele Täter zu erreichen und dabei Verhaltensänderungen zu erzielen, erscheint es durchaus angemessen, eine solche Maßnahme „sozialpsychologisches Trainingsprogramm“ zu nennen und Täter begrifflich mit einem solchen Label etwas deutlicher im Hinblick auf gebotene Verhaltensänderungen und Einstellungen anzusprechen.
Inhaltliche Hinweise im Hinblick auf die Effektivität von Täterprogrammen:
- Die Arbeit mit Tätern ist ein wesentlicher Bestandteil des Opferschutzes und muss daher strengen Qualitätsstandards folgen. Sie ist nicht nur ein wertvolles „Instrument zur Gewaltprävention“, sondern auch ein Baustein für die weitere Gestaltung des Wandels von Machtverhältnissen in Beziehungen, die allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zugrunde liegen. Dazu ist es notwendig, dass die Programme eine Mindestdauer und obligatorische Follow-up-Phasen nach Abschluss des Programms enthalten.
- Auch die im angeführten BAG-Standard angesprochenen Ziele und Themen erscheinen deutlich zu knapp. In Zukunft sollten die Programme inhaltlich anspruchsvoller gestaltet sein und u.a. folgende Module enthalten:
- Veränderung von gewaltorientierten Einstellungen und gewalttätigen Verhaltensmustern.
- Soziale Fähigkeiten, Kommunikation, gewaltfreie Konfliktlösung und Selbstkontrolle.
- Umgang mit Eifersucht
- Umgang mit Trennungen und Aufbau gesunder Beziehungen.
- Förderung der Übernahme von Verantwortung und Entwicklung von Empathie.
- Im Falle gemeinsamer Kinder sollte ein Modul enthalten sein, das sich auf die Übernahme von Verantwortung für die psychischen und physischen Folgen konzentriert, die Kinder erfahren.
- Auch die im angeführten BAG-Standard angesprochenen Ziele und Themen erscheinen deutlich zu knapp. In Zukunft sollten die Programme inhaltlich anspruchsvoller gestaltet sein und u.a. folgende Module enthalten:
Zu Artikel 1, § 1a und Artikel 2
Die im Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Dauer der elektronischen Überwachung, zur Information der Betroffenen über Kontaktversuche und die entsprechenden Kontrollmaßnahmen erscheinen aus Sicht des BDP angemessen und praktikabel. Aus psychologischer Sicht erscheinen die vorgesehenen Maßnahmen gut geeignet, einige Täter in der Ausfüh-rung ihres Vorsatzes zu bremsen bzw. gänzlich abzuhalten und andererseits zusätzlich den potentiellen Opfern mehr Sicherheit und Handlungsmöglichkeiten zu geben.
Für Ihre Fragen stehen wir sehr gern zur Verfügung.
Ihre Ansprechpersonen
Thordis Bethlehem | Paola Delgado-Klamroth |
E-Mail: t.bethlehem@bdp-verband.de | E-Mail: p.delgado-klamroth@bdp-klinische-psychologie.de |
Hier geht zur Resolution "Gegen Gewalt gegen Frauen und für eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland".