Stellungnahme des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP): Statt Stigmatisierung und Registrierung: Mit Prävention und Behandlung gegen Gewalt
Berlin, 9.7.2025
Die Diskussion über gewaltbereite Menschen mit psychischen Erkrankungen mündet aktuell in politischen Bestrebungen, durch Ausweitungen einer behördlichen Kontrolle Straftaten entgegenzuwirken.
Auf der Innenministerkonferenz (IMK) vom 18.6.2025 wurde ein verschärftes Vorgehen gegen gewaltbereite Menschen mit einer psychischen Erkrankung gefordert: Im Beschlusspapier der Konferenz (Punkt 83) [1] wird u. a. vorgesehen, relevante Erkenntnisse zu psychischen Erkrankungen zuständigen Behörden, ggf. auch der Polizei, zugänglich zu machen und einen Datenaustausch zu ermöglichen.
Mit der Begründung eines optimierten Informationsaustausches zur Gefahrenabwehr will die hessische Landesregierung Neuregelungen im Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) im Eilverfahren umsetzen und eine etwaige zukünftige Fremdgefährdung bei psychiatrisch Untergebrachten schneller zur Meldung bringen. Entscheidend soll hierbei eine gesonderte ärztliche Einschätzung sein (PsychKHG, 17.6.2025). Weitere Bundesländer wollen folgen und planen ähnliche Gesetzesänderungen auf Landesebene.
Diese Beschlüsse wecken Befürchtungen bei Patient*innen und Behandelnden: Werden Daten aus ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Behandlung an Behörden weitergeleitet? Wird die ärztliche/ psychotherapeutische Schweigepflicht aufgehoben? Die Diskussion im Allgemeinen weckt Befürchtungen in der Gesellschaft: Sind psychisch erkrankte Menschen gewaltbereit?
Aktuell unterliegen Behandlungsdaten per se der Schweigepflicht und sind damit gut geschützt. Erkrankte Menschen sowie ihre Angehörigen können darauf vertrauen, dass das, was sie in einer Behandlung berichten, grundsätzlich nicht nach außen dringt. Ausnahmen zur Schweigepflicht gibt es bereits, nämlich bei rechtfertigendem Notstand (§ 34 StGB) im Falle einer sogenannten Eigen- oder Fremdgefährdung. Geheimnisträger*innen wie Psychotherapeut*innen oder Psycholog*innen sind hier von der Schweigepflicht entbunden. Betroffene Personen können zu einer Gefahrenabwehr – auch zwangsweise – in einer Einrichtung untergebracht werden.
Ein standardmäßiges Zugänglichmachen „relevanter Informationen“ (z. B. in Form eines „Registers“) an Sicherheitsbehörden, wie es im Beschlusstext der IMK beschrieben wird, als auch die Regelungsentwürfe der hessischen Staatsregierung würden eine Aufweichung der bestehenden Schweigepflicht mit sich bringen. In Hessen wurden die Gesetzentwürfe ohne Hinzuziehung von Datenschutzstellen entwickelt.
Der BDP und seine Fachsektion VPP betonen erneut: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben per se kein erhöhtes Gewaltpotential. Seltenere Erkrankungen, wie z. B. aus dem schizophrenen Formenkreis, weisen zwar ein leicht erhöhtes Risiko für Gewaltgefährdung auf. Dies verändert aber nicht das durchschnittliche Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Sehr viel häufiger stellen Erkrankungen wie schwere Depressionen eher ein Risiko mit Interventionsbedarf für das Leben der Erkrankten selbst dar.
Unsicherheitsgefühlen in der Gesellschaft sollte und kann gegengesteuert werden: In Summe nimmt die Anzahl von Straftaten in Deutschland in den letzten 10 Jahren ab [2]. Gewaltdelikte machen hiervon lediglich 3,7 % aus und verzeichnen als Untergruppe einen Anstieg [3]. Bei schweren Körperverletzungen sind hier Opfer wie auch Täter meistens männlich. Die Gewaltbereitschaft von Täter*innen kann dabei durch verschiedenste Faktoren erklärt werden (z. B. männliches Geschlecht, schwieriger sozioökonomischer Status, Vernachlässigung und Gewalterfahrungen in der Kindheit, Alkohol- oder Substanzmittelkonsum). Etwaige zusätzliche psychische Erkrankungen können dabei Regulationsfähigkeiten Betroffener schmälern und einen weiteren Faktor (unter verschiedenen anderen) darstellen. Schwere Einzeltaten (wie Amokläufe) sind sehr seltene Ereignisse. Verhindert werden können derartige Einzeltaten selten.
Um allgemein und effektiv Gewalttaten entgegenzuwirken, sollte eine Gesellschaft bei den vorrangigen Faktoren, die Gewalt wahrscheinlich machen, gegensteuern: Am zentralsten dürften dabei die Förderung eines respektvollen gesellschaftlichen Klimas und der Aufbau einer sozialen Chancengleichheit sein – gefolgt von Hilfen für Familien (z. B. zur Förderung einer gewaltfreien Kommunikation oder zur Unterstützung bei Belastungen). Ein weiterer wichtiger Eckpunkt zur Gewaltreduktion stellt die Prävention von Suchtmittelkonsum dar. Denn ein großer Anteil von Straftaten steht nach wie vor in Zusammenhang mit Alkohol- und Drogeneinnahme.
Nicht vergessen werden sollte auch die Art der Medienberichterstattung: Wird über Einzeltaten medial breitflächig berichtet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, Nachahmungseffekte zu erzeugen.
Um den Teil gewaltbereiter Einzeltäter*innen mit zusätzlichen psychischen Erkrankungen frühzeitig zu erreichen, sind eine vertrauensvolle (therapeutische) Anlaufstelle und die anschließende Bereitstellung einer leitliniengerechten Behandlung der wirksamste Weg.
Die Sorge Betroffener, dass persönliche Daten weitergegeben werden könnten, verringert die Wahrscheinlichkeit, ggf. noch rechtzeitig einen „Rettungsanker“ anzunehmen und sich einem Gegenüber vertrauensvoll zu öffnen.
Auf dem Gebiet der Risikoerkennung könnte in Deutschland – analog einem Vorgehen in der Schweiz – ein berufsgruppen- und institutionsübergreifendes Vorgehen durch Psychologie, forensische Psychiatrie und (bei vermuteten psychischen Erkrankungen) Psychotherapie gefördert werden. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) lassen sich dort 80 % der sogenannten „Gefährder“ auf ein oder mehrere Gespräche bei Gewaltschutzstellen und ggf. weitere Maßnahmen ein.
Mit Kritik an einer „Registererstellung“ hatte sich der BDP bereits in einer Resolution zur elektronischen Patientenakte (ePA) [4] positioniert, welche im Frühjahr an das Bundesministerium für Gesundheit versendet wurde.
Der BDP appelliert an die Politik: Eine Stigmatisierung und Auflockerung der ärztlich/psychotherapeutischen Schweigepflicht leisten keinen Beitrag zu einer messbaren Reduktion von Gewalttaten in Deutschland.
Für einen Austausch stehen wir sehr gern zur Verfügung.
Ihre Ansprechpersonen:
| Susanne Berwanger | Dr. Johanna Thünker |
| Vizepräsidentin Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP) Vorsitzende der Sektion Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im BDP (VPP) E-Mail: s.berwanger@bdp-verband.de | Vorstand der Sektion Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im BDP (VPP) E-Mail: thuenker@vpp.org |
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Quellenverzeichnis
[1] Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder. Sammlung der zur Ver-öffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 223. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innen-minister und -senatoren der Länder vom 11. bis 13.06.25 in Bremerhaven (18.6.2025). Online verfügbar: https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2025-06-13_DOK/beschl%C3%BCsse.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[2] Statista (2025). Anzahl der polizeilich erfassten Straftaten in Deutschland von 1987 bis 2024. Online verfügbar: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/197/umfrage/straftaten-in-deutschland-seit-1997/
[3] Bundeskriminalamt. Polizeiliche Kriminalstatistik 2024. Online verfügbar: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024_node.html
[4] Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP). Resolution des Be-rufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), verabschiedet von der Delegiertenkonferenz am 3. Mai 2025 zur elektronischen Patientenakte (ePA). Online verfügbar: https://www.bdp-ver-band.de/fileadmin/user_upload/BDP/newssystem/presse/stellungnahmen_und_politische_positionen/PDF/BDP_Resolution_ePA_250503.pdf