Tagungsrückblick der Fachgruppe Klinische Psychologie der Kommunikation und ihrer Störungen

Vom 9. bis 10. Mai 2019 traf sich die Fachgruppe zu ihrer 34. Arbeitstagung im herrlich gelegenen Schloss Rauischholzhausen (Tagungsstätte der Universität Gießen). Der Fachgruppenleiter, Harry de Maddalena (Tübingen), dankte nach seinen einführenden Worten Anke Buschmann und Beyhan Ertanir (beide Heidelberg) für die fachliche Vorbereitung der Tagung.

Von Harry de Maddalena

Sascha Schröder (Göttingen) stellte die Ergebnisse von zwei Studien vor, in denen die Entwicklung verschiedener sprachlicher Kompetenzen im letzten Kindergartenjahr und ihr Einfluss auf frühe Leseleistungen am Ende des ersten Grundschuljahres untersucht wurden. Zusammen zeigten die Ergebnisse  große interindividuelle Unterschiede und differenzielle Entwicklungsverläufe der einzelnen Domänen. Die Beziehungen zwischen den Teilkompetenzen waren komplex und hatten einen wichtigen Einfluss auf die frühe Schriftsprachentwicklung in der Grundschule. 

Astrid Haase und Claudia Steinbrink (Erfurt) stellten vorläufige Ergebnisse einer Studie vor, in welcher sie Zusammenhänge zwischen morphologischer Bewusstheit (der Fähigkeit morphologische Strukturen einer Sprache wahrzunehmen und zu verändern) und schriftsprachlichen Leistungen bei deutschsprachigen Grundschulkindern untersuchen. In dieser Studie wird u. a. unter Kontrolle anderer Einflussfaktoren geprüft, welche morphologischen Teilkomponenten mit welchen schriftsprachlichen Leistungen in Beziehung stehen, und ob sich die Beziehungen mit zunehmender Klassenstufe verändern.

Beyhan Ertanir und Steffi Sachse (Heidelberg) betrachteten sozio-emotionale Kompetenzen mehrsprachiger Kindergartenkinder und deren reziproke Beziehungen mit den erst-und zweitsprachlichen Kompetenzen der Kinder. Unter Heranziehung längsschnittlicher Daten des IMKI-Projekts konnte gezeigt werden, dass die mehrsprachigen Kinder als Gruppe über altersangemessene sozio-emotionale Kompetenzen verfügen und diese im Zusammenhang mit den sprachlichen Leistungen der Kinder stehen. Cross-lagged-panel-Analysen ergaben ferner, dass frühe sozio-emotionale Kompetenzen den Zuwachs an späteren Sprachkompetenzen prädizieren, allerdings der frühe Wortschatz nicht zur Vorhersage späterer sozio-emotionaler Kompetenzen beiträgt. Diese Befunde weisen auf einen unidirektionalen Zusammenhang in der frühen Kindheit hin.

Nadin Helbing, Claudia Steinbrink (Erfurt), Stephan Sallat (Halle-Wittenberg) und David Buttelmann (Bern) berichteten Ergebnisse einer Querschnittstudie, in der mittels einer differenzierten Aufgabenbatterie für 4-jährige deutschsprachige Kinder der Zusammenhang zwischen Sprachleistungen und Theory-of-Mind (ToM)-Fähigkeiten untersucht wurde. In dieser Studie wurden der produktive und rezeptive Wortschatz, sowie produktive und rezeptive grammatikalische Fähigkeiten gemessen. Um den Einfluss des Charakters der verwendeten ToM-Aufgaben auf den Zusammenhang von Sprach- und ToM-Fähigkeiten genauer analysieren zu können, wurden die ToM-Leistungen der Kinder sowohl explizit (sprachbasiert) als auch implizit (nicht-sprachbasiert) erhoben.

Die menschliche Stimme ist nicht nur Träger von Sprache, sondern übermittelt auch nicht-sprachliche  Information über eine Person, wie über deren Geschlecht, Alter, emotionalen Zustand oder Identität. Die angeborene Fähigkeit zur Sprechererkennung hängt teilweise von Fähigkeiten zur  Sprachverarbeitung ab und variiert stark zwischen Hörern. Romi Zäske (Jena) veranschaulichte dies anhand einer Lernstudie, bei der erwachsene Hörer zunächst unbekannte Sprecher anhand ihrer Stimmen wiedererkennen sollten. Nach nur wenigen Präsentationen von kurzen Sätzen lag die Wiedererkennungsleistung im Schnitt über dem Zufallsniveau und generalisierte teilweise auf neue Sprachinhalte. Dies deutete auf die Bildung sowohl sprachabhängiger als auch unabhängiger Sprecherrepräsentationen während des Stimmenlernens hin. Auf Probandenebene variierte die Fähigkeit zur Stimmenerkennung allerdings sehr stark. Jedoch ist wenig über die Ursachen und Implikationen dieser interindividuellen Unterschiede beim Stimmenlernen bekannt. Zur Objektivierung dieser Unterschiede fehlt derzeit ein standardisiertes Testverfahren, an deren Entwicklung bereits gearbeitet wird.

Die semantische und wortformbezogene Repräsentation eines Wortes  sowie der Zugriff darauf bzw. der Abruf dessen sind für den komplexen Prozess der Verarbeitung von Wörtern erforderlich. Welcher dieser Aspekte Kindern mit lexikalischen Defiziten Schwierigkeiten bereitet, lässt sich mit Hilfe typischer Wortschatztests nicht feststellen, was eine differentialdiagnostische Abgrenzung unterschiedlicher Ausprägungen lexikalischer Defizite erschwert. Karin Hein und Christina Kauschke (Marburg) gingen der Frage nach, ob sich verschiedene Profile der Wortverarbeitung finden lassen. Dazu wurden 203 Kinder im Grundschulalter mit Hilfe von zwei neu entwickelten computerbasierten Experimenten (auditiv lexikalisches Entscheiden, Schnellbenennen bekannter Wörter) sowie weiteren standardisierten Verfahren untersucht. Eine Clusteranalyse identifizierte vier Profile unterschiedlicher Wortverarbeitungsfähigkeiten in der Stichprobe, die die klinische Relevanz einer differentialdiagnostischen Abgrenzung lexikalischer Fähigkeiten untermauern.

Aus verschiedenen Sprachen liegen Hinweise darauf vor, dass Genusmerkmale einen Einfluss auf die Dekodierung von Subjekt und Objekt haben können. Allerdings gab es bis dato im Deutschen keine Studie, die die Online-Verarbeitung von Genusinformationen in Sätzen untersucht hat. In der aktuellen Pilot-Studie wurden von Annika Bürsgens (Aachen) in Zusammenarbeit mit Thomas Günther (Aachen, Heerlen) und Jürgen Cholewa  (Heidelberg) deshalb 4- bis 10-jährige Kinder mithilfe eines Blickbewegungs-Paradigmas untersucht. Die Kinder hörten einen Satz und sollten auf das passende Bild schauen. Die Sätze wurden hinsichtlich der Geschwindigkeit, der Wortstellung und des Genus von Agens und Patiens variiert. Es zeigte sich, dass die Kinder bei natürlicher Sprechgeschwindigkeit Genusinformationen nutzten, um das Agens in SVO-Sätzen und das Patiens in OVS-Sätzen schneller zu identifizieren.

Heidi Schertel-Helf (Schwäbisch-Gmünd) stellte das Sprachfördermodell SPAKE für Kinder unter drei Jahren vor. Es gründet auf den Annahmen der sozial-pragmatischen Spracherwerbstheorie. Konzipiert wurde ein mehrperspektivisches theoretisches Stufenmodell über Spracherwerbszusammenhänge in vier Entwicklungsbereichen, das von kindlichen Motiven ausgehend die Grundlage für das Sprachförderkonzept bildet. Die sprachpädagogische Arbeit in Alltagshandlungen und im Spiel umfasst systematisch die mit dem Spracherwerb verbundenen Entwicklungsbereiche. Der entwickelte Beobachtungsbogen zur Einschätzung der kindlichen Sprachentwicklung sowie der damit zusammenhängenden Entwicklungsbereiche wurde einer ersten Validierung (Interrater-Reliabilität) unterzogen. Eine weitergehende Validierung des Konzepts wurde durch eine Expertenbefragung (prospektive Evaluation) vorgenommen, auf deren Grundlage das Konzept modifiziert und optimiert wurde.

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SK Klinische Psychologie
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