31 Jahre Deutsche Wiedervereinigung

Prof. Dr. Hendrik Berth, BDP-Mitglied

Ausgefallen, abgesagt, aufgeschoben. Das 30-jährige Wiedervereinigungsjubiläum im vergangenen Jahrkonnte coronabedingt nicht mit großen Feierlichkeiten begangen werden. Und auch das 31. Jubiläum - zentral gefeiert wird in Halle/Saale - wird geprägt sein von notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln. Ein großes Bürgerfest wie in vergangenen Zeiten kann es noch nicht geben. Doch ist den Deutschen an diesem Datum auch nach Feiern zu Mute?

Schauen wir auf die Empirie: Seit 1987 (Ja, wirklich so lange!) befragt die Sächsische Längsschnittstudie eine identische Gruppe Ostdeutscher zu ihrem Erleben der Wiedervereinigung, zu Erfahrungen mit der ostdeutschen Transformation. Die Teilnehmenden sind alle im Jahr 1973 geboren und heute um die 48 Jahre alt. Jahr für Jahr beantworten mehr als 300 Personen umfangreiche Fragebögen (www.wiedervereinigung.de/sls).

Eine Frage aus der Studie lautet: „Der Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober ist ein Grund zum Feiern.“ (5-stufige Likert-Skala „stimme vollkommen zu“ bis „lehne vollkommen ab“). Die Abbildung zeigt, dass bei der letzten Befragung der Tag der deutschen Einheit für die Mehrheit, genauer für zwei Drittel der Befragten, ein Grund zum Feiern ist. Nur 10 Prozent ist gar nicht nach Feiern zumute und 25 Prozent sind unentschlossen.

Sind zwei Drittel nun viel oder wenig? Verglichen mit dem 15-jährigen- und 20-jährigen Wiedervereinigungsjubiläen 2005 bzw. 2010 sehen wir eine deutliche Zunahme der Personen, für die dieses Datum ein Grund zum Feiern ist (Zustimmung): Von 38 Prozent (2005) über 52 Prozent (2010) bis zu 65 Prozent (2020). Dies spricht für ein Zusammenwachsen, für eine Entwicklung hin zu einer tatsächlichen inneren Einheit. Wissenschaftlich ist es wichtig, dass es tatsächlich immer dieselben Personen sind, die über die Jahre befragt wurden. Die unterschiedlichen Zahlen aus den einzelnen Jahren beruhen also nicht auf unterschiedlich Stichproben, sondern sind echte Veränderungen.

Es liegt in der menschlichen Natur, dass wir bei Bilanzen häufig zuerst an Negatives denken: Im Osten Deutschlands sind auch heute noch Löhne und Renten niedriger als im Westen. Viele Gegenden haben einen deutlichen Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen, vor allem Jüngere aus ländlichen Gebieten sind abgewandert. In Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft usw. finden sich kaum Ostdeutsche. Einige Menschen sind politikverdrossen und stehen dem demokratischen System der Bundesrepublik eher ablehnend gegenüber.

An einem Jahrestag sollten wir uns daher die positiven Errungenschaften ganz besonders in Erinnerung rufen: Demokratie, Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung sowie Reisefreiheit sind heute selbstverständlich. Umweltschäden aus der Zeit in der ehemaligen DDR sind vielerorts beseitigt, die Infrastruktur ist manchmal besser als in vergleichbaren westdeutschen Regionen. Die Lebensverhältnisse und die Lebensqualität haben sich für die Meisten nachhaltig verbessert. Die Gesundheit der Bevölkerung hat zugenommen und die Lebenserwartung ist gestiegen.

Es wird sich - um eine Prognose zu wagen - aus wissenschaftlich psychologischer Sicht lohnen, im Jahr 2030 zum 40-jährigen Wiedervereinigungsjubiläum nochmals nach der Feierlaune der Deutschen zu fragen. Unter Annahme einer ähnlich positiven Entwicklung wie in den vergangenen Jahren, sind es dann hoffentlich mehr als 80 %, für die der Jahrestag einen Grund zum Feiern darstellt.

Prof. Dr. Hendrik Berth
TU Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
E-Mail: h.berth@ukdd.de

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Stellungnahme
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