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Stellungnahme des BDP zu Psychiatrie, Psychosomatik und Kinder- und Jugendpsychiatrie („Psych-Fächer“): Reform und Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung

Achte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung

Berlin, den 14.02.2024

Die 17-köpfige vom BMG eingerichtete Kommission setzt sich aus Expert*innen aus den Bereichen Gesundheitsökonomie, Rechtswissenschaften, Qualitäts-, Notfall- und Versorgungsforschung, Kinder- und Jugendmedizin und Fachärztlicher Psychiatrie und Psychotherapie zusammen und hat am 21.10.2023 eine Empfehlung zur Reformierung der Krankenhausbereiche Psychiatrie/Psychosomatik veröffentlicht. In dieser Achten Stellungnahme spricht die Kommission auf der Basis beteiligter Disziplinen u. a. folgende Empfehlungen für sogenannte „Psych-Fächer“ aus:

  1. Die psychiatrische und psychosomatische Versorgung soll weiterhin ausgebaut werden. Im Rahmen der ambulanten Versorgung sollen psychiatrischen Institutsambulanzen aus- und aufgebaut werden. Dort soll verstärkt die Versorgung schwer Erkrankter übernommen werden, für die im KV-System oftmals zu wenig Versorgungsstrukturen bestehen.
  2. Die psychiatrische Versorgung soll regional und i.d.R. an Allgemeinkrankenhäusern angeboten werden, aufgrund häufiger Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen. Dabei sollen verstärkt psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern entstehen.
  3. Im Rahmen der psychiatrischen Versorgung sollte dabei weniger auf eine hoch spezialisierte Behandlung geachtet werden, sondern vielmehr auf eine flexibel-sektorenübergreifende.
  4. Die Sektorengrenzen sollen überwunden werden; sie werden als größte Hürde eine qualitativ hochwertige Versorgung betreffend genannt. Es sollte ein flexibler Wechsel zwischen vollstationärer, tagklinischer oder ambulanter häuslicher Betreuung möglich werden.
  5. Nur Psychosomatiken sollen hochspezialisierte Stationen oder Strukturen anbieten wie z. B. Essstörungsstationen.
  6. Die Sanktionierungen aus der PPP-RL sollen aufgehoben werden in Richtung bisheriger Praxis der Sanktionierung somatischer Krankenhäuser bei Nichteinhaltung von Pflegepersonalstandards.
  7. Neue Finanzierungsmodelle für tagklinische Behandlungen sollen nicht angewendet werden – stattdessen sollen settingübergreifende Behandlungen forciert werden. Auch stationäre Behandlungsstätten sollen individuell tagesklinisch oder aufsuchend abrechnen können.
  8. Psychiatrische und psychosomatische Institutsambulanzen sollen weiter für schwer Erkrankte ausgebaut werden, um hier zu schlecht ausgebaute ambulante KV-Versorgungsstrukturen auszugleichen. Dabei sollte die Vergütung (leistungsabhängig und berufsgruppenabhängig) analog des sogenannten Bayerischen Modells geregelt werden.
  9. Sektorenübergreifende Modellprojekte sollen gefördert, evaluiert und bundesweit vereinheitlicht angewandt werden. KV-Strukturen sollen dabei integriert werden.
  10. Qualitätssicherung: Nach am Anfang klar formulierter genannter Kritik an der Versorgungsqualität bzw. der fehlenden Transparenz zu diagnosespezifischen Behandlungsangeboten (siehe Beispiel Polypharmazie) wird dieser Punkt am Ende der Stellungnahme nur rudimentär aufgegriffen:
    Die Regierungskommission empfiehlt zu prüfen, in welcher Weise der ICD- und der OPS-Katalog so weiterentwickelt werden können, dass daraus eine ähnliche Aussagekraft wie in den meisten somatischen Fächern resultiert. Darüber hinaus wird v. a. auf Pharmakotherapie bezogen eine bessere Versorgungforschung gefordert.

Bewertung:

  1. Sektorenüberwindung
    Positiv zu erachten ist in den Empfehlungen, dass eine regionale, flexible und sektoren-übergreifende Behandlung (stationär, teilstationär, aufsuchend, ambulant) gefordert wird. Es werden flexible Vergütungsmöglichkeiten für Kliniken gefordert. Flexible Modellvorhaben sollen dabei gefördert, evaluiert und bundesweit angewandt werden. Die Stellungnahme berücksichtigt dabei jedoch keine weitergehende Sektorenübergreifende Versorgung mit z. B. Integration von Familien- und Jugendhilfe (SGB VIII) oder beruflicher Teilhabe (SGB IX) und greift deshalb zu kurz. Langfristige Verbesserungen bei schweren psychischen Erkrankungen sind oft nur durch gelungene Teilhabe Betroffener am Arbeitsmarkt oder durch flexible Übergänge von Kinder-/Jugendhilfe und ambulanten/stationären Behandlungsstrukturen zu erreichen.
  2. Ressourcennutzung an Allgemeinkrankenhäusern
    Bestimmt gut gemeintes Ziel der Empfehlung ist eine Versorgungsverbesserung. Allerdings lässt die Empfehlung die bereits bestehenden Strukturen zur Versorgung körperlich Kranker mit psychischen Belastungen und/oder psychischen Komorbiditäten völlig unberücksichtigt und damit die bereits bestehenden Versorgungsstrukturen durch insbesondere klinisch-psychologische und psychologisch-psychotherapeutische Fachkräfte.
    Es ist keineswegs so, dass die beabsichtigte Versorgungssicherung erst mit dem Ankoppeln der genannten Abteilungen an Akutkrankenhäuser gegeben wäre, sondern diese Versorgung ist teils bereits in Leitlinien geregelt (z. B. S3-LL Psychoonkologie, Empfehlung 12.6.). Es ist für die Versorgungssicherung unbedingt erforderlich, dass diese gewachsenen und funktionierenden Strukturen genutzt werden und nur, wo nötig, durch die geplanten Konsiliar- und Liaisondienste aus psychiatrischen und/oder psychosomatischen Abteilungen ergänzt werden. In kleineren Akutkrankenhäusern, in denen solche psychosozialen Versorgungsstrukturen nur rudimentär oder via Honorarleistungen vorhanden sind, könnte die geplante Ansiedelung theoretisch einen qualitativen Mehrwert bedeuten. Die klinisch-psychologischen und psychotherapeutischen Tätigkeitsfelder an „somatischen“ Versorgungsstrukturen erfordern allerdings besondere, fachspezifische Fort- und Weiterbildungen, die oftmals außerhalb der Curricula der medizinischen „PsychFächer“ liegen (Psychologische Schmerztherapie, Psychodiabetologie, Psychokardiologie, Psychoonkologie). Hier gilt es funktionierende, etablierte Strukturen und die besonderen Fachkompetenzen der klinischen Psycholog*innen und Psychologischen Psychotherapeut*innen in Krankenhäusern zu erkennen und deren effektive Tätigkeiten zu erhalten.
  3. Personalausstattung Psychiatrie/Psychosomatik
    Zwar wird allgemein der Ausbau der Versorgung psychisch Erkrankter gefordert. Aber eine überprüfbare und verbindliche Verbesserung der Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik durch z. B. die Sanktionsvorgaben der Personalrichtlinie PPP-RL soll nicht durchgeführt werden. Stattdessen sollen bei mangelnder psychologischer bzw. psychotherapeutischer Personalausstattung mildere Sanktionen analog der Pflegepersonalausstattung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken angewendet werden. Es bleibt hier zu befürchten, dass entgegen den Zielen der Reform auch weiterhin psychologisch-psychotherapeutisch tätiges Fachpersonal nicht in angemessener Zahl vorgehalten wird, um eine leitlinienorientierte Psychotherapie durchzuführen. Der „Tiger“ der Personalrichtlinie PPP-RL bliebe damit ggf. genauso zahnlos wie die vorherige Personalverordnung PsychPV. Es erscheint angesichts der aktuellen Versorgungsrealität in diesem Feld und der Zielrichtung der Stellungnahme u. E. eher fraglich, ob das bisher zu beobachtende Maß an Qualitätsorientierung in der Medizin in diesem Sektor als Modell für andere Bereiche tauglich sein könnte.
  4. Behandlungsqualität
    Leitlinien schreiben vor, dass schwere psychische Erkrankungen durch Psychotherapie und (meistens auch) mit Psychopharmaka behandelt werden sollen. Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Psychologinnen und Psychologen in psychotherapeutischer Aus- und Weiterbildung oder mit klinischer Expertise sind dabei wohl die Gruppe, die sowohl im stationären als auch ambulanten Bereich am häufigsten psychisch Erkrankte oder psychisch belastete Menschen behandeln. Auffälligerweise wird Psychotherapie als leitlinienorientierte Heilbehandlung im ganzen Text der Stellung-nahme nicht erwähnt. Dementsprechend undifferenziert sind die Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität der Behandlung. Es fehlt seit Jahren an ausreichenden und spezifischen psychotherapeutischen Behandlungskapazitäten, v. a. im psychiatrischen Bereich. In der vorliegenden Stellungnahme wird leider nur auf das Problem der Polypharmazie eingegangen. Diese ist vermutlich oftmals ein Ausdruck von Hilflosigkeit im Umgang mit schwerst psychisch Erkrankten.
    Der alleinige Fokus auf Medikation ist weder leitliniengerecht noch sinnvoll. Die ausreichende und individualisierte psychotherapeutische Behandlung sowie weitergehende Sektorenübergreifende Angebote (z. B. standardisierte Vernetzung mit Strukturen der Teilhabe oder Kinder- und Jugendhilfe) fehlen in dem Entwurf und in der Realität noch immer.
  5. Ambulante Versorgungsverbesserung im GKV-System
    Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die ambulante fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung sicherzustellen. Im ambulanten wie auch im stationären Bereich besteht psychische Erkrankungen betreffend seit längerem ein Versorgungsmangel. Wartezeiten auf einen stationären oder ambulanten Behandlungsplatz sind oftmals zu lang. Die Hintergründe der Problematik sind komplex: Psychische Erkrankungen nehmen an gesellschaftlicher Relevanz zu, das Inanspruchnahmeverhalten Erkrankter ändert sich und richtet sich nicht auf Medikation, sondern auf eine effektive, leitlinienorientierte psychotherapeutische Behandlung. Eine echte Reformierung der Bedarfsplanung steht allerdings noch aus und gerade Kliniken verzeichnen einen Fachkräftemangel. Aufgrund der nichtgeklärten Finanzierung der Weiterbildung zur Fachpsychotherapeutin/zum Fachpsychotherapeuten wird ggf. eine Nachwuchslücke entstehen. Dieses Problem ist nicht einfach durch den Aufbau von „neuen“ Psychiatrischen Ambulanzen zu lösen, deren Fachkräfte sich aus dem Personalpool von Kliniken speisen. Auch hier sollten bestehende Ressourcen genutzt werden und für anstehende Fragen politische Lösungen gebahnt werden. Im Bereich psychologischer Psychotherapie besteht kein Fachkräftemangel. Viele qualifizierte approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten z. B. in Privatpraxen und könnten bei fehlenden ambulanten KV-Behandlungsplätzen über das Verfahren der Kostenerstattung berücksichtigt werden. Für unterversorgte Regionen stünden qualifizierte Fachkräfte für den Ausbau ambulanter Behandlungsplätze zur Verfügung (durch Erhöhung der Anzahl der Kassensitze und die Erleichterung von Anstellungen in Praxen).

Der BDP e.V. fordert, diese fünf Faktoren zu berücksichtigen und zu diesem Thema weitergehende psychologisch-psychotherapeutische Expert*innen in die Kommission aufzunehmen. Grundsätzlich empfehlen wir dem Ministerium sich dafür einzusetzen, dass bei Fragen zu psychischen Erkrankungen, zur psychischen und psychosozialen Gesundheit die Disziplin Psychologie (bzw. hier der Fachbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie) beteiligt wird. Sie ist es, die hierzu wissenschaftliche Forschung durchführt und Konzepte liefert, welche von Regierungskommissionen gewinnbringend genutzt werden sollten.

Ansprechpersonen:

Susanne BerwangerRuth Curio
Vizepräsidentin BDPLeitungsteam der Fachgruppe Klinische Psycho-logie im Allgemeinkrankenhaus in der Sektion Klinische Psychologie im BDP
Vorsitzende Fachsektion VPP (Verband psychologischer Psychotherapeutinnen und Psy-chotherapeuten) im BDP 
E-Mail: s.berwanger@bdp-verband.de 

Hier geht es zur Pressemitteilung.

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Stellungnahme
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