Regionalgruppe Gesundheitspsychologie München, 12.07.2006

Treffen der Regionalgruppe Gesundheitspsychologie München am 12.07.2006 mit dem Referat von Dipl.-Psych. Thomas Welker: "Präventionsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen – eine Präsentation der 2006 modifizierten gemeinsamen und einheitlichen Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 und 2 SGB V".

Präventionsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen

Thomas Welker informierte über den gesetzlichen Auftrag zu Präventionsleistungen von gesetzlichen Krankenkassen anhand der Grundsätze und Empfehlungen des neu überarbeiteten Leitfadens  vom Februar 2006 der GKV. Die bisherige politische Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung ermöglicht den gesetzlichen Krankenkassen weiterhin die Bereitstellung entsprechender Maßnahmen auf einem neuen Niveau. Er ergänzte seine Ausführungen mit den aktuellen Daten von 2005 der von der gesetzlichen Krankenkassen vorgenommenen und dokumentierten Evaluationen. Er erläuterte die Ansatzpunkte für eine gesundheitsförderliche Politik, die im Risikoverhalten, in selbstschädigendem Verhalten, in gesundheitsbelastenden Bedingungen in der Umwelt und Arbeitswelt, in psychosomatischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit sowie in der Stärkung gesundheitsförderlicher Potenziale zu sehen sind.

Welker hob aus dem gesetzlichen Präventionsauftrages die Ziele der Primärprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung hervor: gesundheitliche und ökonomische Bedeutung von Erkrankungen, Rangfolgen von Krankheiten sowie die Quantifizierung von Teilzielen und verhaltens- und verhältnisbezogenen Risikofaktoren. Wichtig sind den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen die Zielgruppen und Zugangswege. Über den individuellen Ansatz mit seinen Interventionen, die sich auf den einzelnen Menschen mit Krankheitsbildern mit epidemiologischer Bedeutung (Herz- Kreislauf, Diabetes mellitus etc.) hinaus wird der Setting-Ansatz mit seinen Interventionen in Lebensräumen und damit die Förderung sozial Benachteiligter verstärkt betont. Ziel ist es, Personen mit sozial ungünstigen Gesundheitschancen zu erreichen und die Bedürfnisse nach geschlechtsspezifischen Unterschieden zu berücksichtigen. Im Blickfeld des Vortrags standen dabei die Anforderungen, Weiterentwicklungen und die Umsetzung der

  • individuellen Präventionsmaßnahmen im Handlungsfeld Stressbewältigung / Entspannung,
  • betrieblichen Gesundheitsförderung,
  • außerbetrieblichen Settings,
  • Präsentation von Zahlen am Beispiel der Kursentwicklung unter Berücksichtigung der Umsetzung der insbesondere für Psychologen relevanten Bereiche »Stressbewältigung/ Entspannung« und »Suchtmittelkonsum«.

Die Anforderungen sind in einem Kriterienkatalog formuliert, wonach jedem Präventionsprinzip zur praktischen Umsetzung folgende Kriterien zugeordnet werden: Bedarf und Wirksamkeit, Zielgruppe, Inhalt und Methodik, Anbieterqualifikation.

Die Weiterentwicklung und Neustrukturierung der Präventionsprinzipien in vier Handlungsfelder mit sieben Prinzipien sieht folgendermaßen aus:

Bewegungsgewohnheiten
1. Reduzierung von Mangel an Bewegung durch gesundheitssportliche Aktivität
2. Vorbeugung und Reduzierung spezieller gesundheitlicher Risiken
Ernährung
3. Vermeidung von Mangel- und Fehlernährung
4, Vermeidung und Reduktion von Übergewicht
Stressbewältigung/Entspannung
5. Förderung individueller Kompetenzen der Belastungsverarbeitung zur Vermeidung stressbedingter Gesundheitsrisiken mit Maßnahmen zur
a) multimodalen Stressbewältigung,
b) klassischen Entspannung (autogenes Training, progressive Relaxation, etc.) sowie
c) fernöstliche Entspannungsmethoden (Tai-Chi, Qigong, Yoga)
Suchtmittelkonsum
6. Förderung des Nicht-Rauchens
7. gesundheitsgerechter Umgang mit Alkohol/Reduzierung des Alkoholkonsums

Auf dem wichtigen Sektor des Suchtmittelkonsums kommen ganz klare evaluierte Konzepte zur Anwendung und bieten vornehmlich für Psychologen ein breites Betätigungsfeld. Obgleich die Probleme des Suchtmittelkonsums sich nicht nur auf die legalen Drogen wie Alkohol und Nikotin beziehen, sondern ebenso auch auf die illegalen Drogen und Medikamente mit Suchtpotenzial, erklärt sich die Schwerpunktsetzung der GKV-Präventionsansätze auf die beiden legalen Drogen Alkohol und Nikotin mit dem hohen Verbreitungsgrad sowie mit dem Vorliegen wirksamer Interventionsmaßnahmen.

Auf dem für Psychologinnen und Psychologen wichtigen Handlungsfeld Stressbewältigung/Entspannung findet nach dem Leitfaden 2006 nun eine Dreiteilung, 5a) bis 5c), der Maßnahmen statt, nämlich der Bereich der Stressreduktion, die klassischen Entspannungsverfahren und die fernöstlichen Methoden, was sich auch bedauerlicherweise in den Anforderungen der Anbieterqualifikation niederschlägt.
So wird grundsätzlich eine Zusatzqualifikation als Nachweis einer entsprechenden Trainingsleiterschulung im jeweiligen Verfahren und in den angeboten Maßnahmen gefordert, die Grundqualifikationen im Handlungsfeld »Stressreduktion/ Entspannung« sind jedoch gestaffelt:
 

  • a) Fachkräfte zur Durchführung von Maßnahmen zur multimodalen Stressbewältigung benötigen Grundqualifikationen aus staatlich anerkannten Abschlüssen (Diplom, Magister, Master, Bachelor, Lehrer mit 1. und 2. Staatsexamen) im Bereich psychosozialer Gesundheit. Als Berufsgruppen sind in dem Leitfaden 2006 Psychologen, Pädagogen, Sozialpädagogen/Sozialarbeiter, Sozialwissenschaftler, Gesundheitswissenschaftler und Ärzte, aber auch Lehrer mit beiden Staatsexamina aufgezählt.
  • b) Zur Durchführung der Maßnahmen zur klassischen Entspannung (autogenes Training, progressive Relaxation) werden alle Fachkräfte aus dem Bereich multimodaler Stressbewältigung (vgl. a)) berücksichtigt, aber auch zusätzlich noch Fachkräfte mit staatlich anerkannten Abschlüssen aus den Bereichen der Sport- und Gymnastiklehrer, Physiotherapeuten, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Erzieher, Gesundheitspädagogen und Heilpädagogen.
  • c) Im Bereich der fernöstlichen Verfahren werden neben den unter a) und b) genannten Berufsgruppen auch Fachkräfte mit einer staatlich anerkannten Ausbildung in einem Gesundheits- oder Sozialberuf sowie einer Bescheinigung der Zusatzqualifikation durch die jeweiligen Fachorganisation mit jeweils mindestens 500 Stunden für Hatha-Yoga, Tai-Chi und Qi- Gong berücksichtigt.

Gemessen an den Anforderungen an die Maßnahmen zur Stressreduktion/ Entspannung, wie sie durch die Vorgaben des Leitfadens formuliert sind, nämlich eine individuelle Stressbewältigung mit transaktionalen Stressmodellen (z.B. nach Lazarus) zu erreichen, mit Maßnahmen, die auf den Erkenntnissen der biopsychosozialen Stressforschung beruhen, »wonach länger andauernde neuroendokrine und vegetative Stressreaktionen eine Gefährdung der physischen und psychischen Gesundheit darstellen« sowie sich »subjektiven habituellen kognitiven Bewertungsmustern« (Leitfaden) verdanken, denen mit verhaltensmodifizierenden »Methoden der kognitiven Umstrukturierung« begegnet werden sollte, ist es doch erstaunlich, welchen Berufsgruppen außer den Psychologen und Psychologinnen es noch alles zugetraut wird, Fragen des psychischen und physiologischen Stresserlebens, Fragen der psychischen Gesundheit in der Primärprävention zu vermitteln, entsprechend beruflich kompetente Antworten zu geben und entsprechend verhaltensorientierte Veränderungen zu implementieren.

Auch bei der »Vermittlung psychophysiologischer Entspannungsverfahren « werden Fachkräfte herangezogen, denen die genuin psychologischen Kenntnisse aus dem Studium der Psychologie verschlossen bleiben und die »Entspannung « verhaltenstechnologisch nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Reaktion verstehen.
Während bei der Beurteilung der Zusatzqualifikation zur Vermittlung der fernöstlichen Verfahren Bezug genommen wird auf entsprechende Ausbildungsstandards der Berufsverbände und Fachorganisationen fernöstlicher Verfahren (z.B. 500 Std.), heißt es in den Bereichen Stressreduktion und Entspannung lapidar »Nachweis einer entsprechenden Trainingsleiterschulung in dem jeweiligen Verfahren«.
Offensichtlich liegen hier hinsichtlich der auszubildenden Qualifikationsstandards und des Ausbildungsumfangs für die Zusatzqualifikationen in multimodalen Stressbewältigungskompetenzen und Entspannungsverfahren Interventionsversäumnisse seitens der fachlich orientierten Untergruppierungen des Berufsverbandes der Psychologen vor, die eigentlich als federführend in der Durchsetzung der Richtlinien zur Durchführung von Entspannungsverfahren gelten sollten. Solange die Nachfrage nach Trainerinnen und Trainern durch die gesetzlichen Krankenkassen größer ist als das Angebot, müssen sich Psychologen auf jeden Fall um die Vermittlung hoher Ausund Fortbildungsstandards in den entsprechenden Methoden und Verfahren kümmern und mit entsprechenden Aus- und Fortbildsangeboten präsent sein.

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