The Psychology of Pandemics

FFP2

Christin Schörk
Referentin für Berufspolitik

In seinem Buch „The Psychology of Pandemics“ (2019) analysiert der klinische Psychologe Dr. Steven Taylor, Professor an der University of British Columbia in Vancouver (Kanada), den Verlauf vergangener Infektionskrisen (z. B. SARS, Influenza oder der sogenannten „Schweinegrippe“) und trägt Erkenntnisse der Psychologie zum Umgang mit Pandemien und pandemiebezogenen Stressoren zusammen.

„Wenn die COVID-19-Pandemie für Sie unwirklich erscheint, für mich war sie doppelt surreal“, schreibt der Psychologe Steven Taylor in einem Artikel für die britische Zeitung The Independent im März 2020. „Fast zwei Jahre lang hatte ich an einem Buch mit dem Titel The ‚Psychology of Pandemics‘ gearbeitet, das im Dezember 2019 veröffentlicht wurde. Einige Wochen nach der Veröffentlichung trat COVID-19 auf, und die Ausbreitung erreichte pandemische Ausmaße.“ Da fast alles, was Taylor im letzten Kapitel über eine mögliche „nächste Pandemie“ schreibt, wenig später so eingetroffen ist, mag das Buch bei manchen Leserinnen und Lesern einen fast prophetischen Eindruck hinterlassen. Taylor selbst kommentiert das allerdings nur mit: „Ob das Buch prophetisch ist, wie manche behaupten? Nicht wirklich – es basiert auf Forschung.“

Und er erklärt: „Auch in früheren Pandemien gab es Rassismus, Panikkäufe, den Ansturm der ‚besorgten Gesunden‘ auf die Krankenhäuser und Menschen, die unter Selbstisolation und anderen Formen sozialer Distanzierung litten.“

Wertvoller Zufall

Tatsächlich kann man es als einen besonders wertvollen Zufall ansehen, dass Steven Taylor sein Buch unmittelbar vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie veröffentlichen konnte. Denn so erhalten Psychologinnen und Psychologen, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Politikerinnen und Politiker sowie die Allgemeinbevölkerung die Möglichkeit, sich die aktuell erlebbaren Auswirkungen der globalen Krise mittels psychologischer Expertise begreifbar zu machen.

Individuelle emotionale Reaktionen

Einen erheblichen Teil des Werkes widmet Taylor den emotionalen Reaktionen, die in Zeiten einer Pandemie zu erwarten seien und die von Gleichgültigkeit oder Leugnung über Distress und Angst bis hin zu Fatalismus reichen können. Der Großteil der Betroffenen zeige dabei moderate Level von Angst, die in aller Regel zu adaptivem Coping führten. Das Andauern von Unsicherheit, Veränderung oder Verlust durch die Krise könne jedoch insbesondere bei Personen mit wenig Stressresilienz oder psychischen Vorerkrankungen zu ernsten Angststörungen und sogar einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Neben bestimmten Persönlichkeitseigenschaften, wie Neurotizismus und dessen Subdimensionen Eigenschaftsangst, Schadensvermeidung oder Intoleranz von Unsicherheit, würden auch kognitive Informationsverarbeitungsstile bezüglich Gesundheitsrisiken und unrealistischer Optimismus die Vulnerabilität gegenüber emotionalem Stress beeinflussen.

Verschwörungserzählungen in Pandemie-Zeiten Neben einer individuenzentrierten Aufarbeitung der psychologischen Folgen einer Pandemie legt Taylor einen weiteren Fokus auf deren kollektive Auswirkungen, was aktuell insbesondere für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger relevant sein dürfte. Wie im Rahmen der Corona-Krise nun verstärkt beobachtet werden kann, ist das Auftreten von Verschwörungserzählungen in Zeiten großer Unsicherheit kein seltenes Phänomen. Häufig würden diese alternativen Erklärungsversuche auf epistemischen, existenziellen und sozialen Motiven basieren und würden durch Faktoren wie eine generelle Skepsis, Narzissmus, übermäßige Sorgen über die eigene Gesundheit, mangelnde Medienkompetenz und Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse verstärkt. Ebenso wie Gerüchte erhielten Verschwörungserzählungen durch Falschinformationen in den sozialen Medien und eine „katastrophisierende“ Medienberichterstattung Aufwind. Insbesondere für letzteres spielten Prinzipien des Modelllernens bis hin zur Angstübertragung eine Rolle.

Verschwörungserzählungen zu entkräften, könne nahezu unmöglich sein, da Gegenargumente sich optimal in die konspirative Theorie einfügen würden. Taylor weist in Rekurs auf bestehende Studienergebnisse daher darauf hin, dass die Bevölkerung mit Informationen versorgt werden müsse, die den Verschwörungsglauben entkräften, noch bevor sich dieser ausbilden könne. Zusätzlich könne die Förderung kritisch-analytischen Denkens Menschen dazu befähigen, zwischen falschen Theorien und faktischen Informationen zu differenzieren.

Faktoren gelungener Risikokommunikation

Eine gelungene Risikokommunikation sei daher eine der wichtigsten Maßnahmen, um die Allgemeinbevölkerung zur Einhaltung der notwendigen Verhaltensregeln zu motivieren. Mithilfe der richtigen Informationen solle sie zu angemessenem und eigenverantwortlichem Gesundheits- und Sicherheitsverhalten befähigt werden. Im Falle einer Pandemie seien dies nicht nur Fakten zum Virus und zu Infektionsrisiken, sondern insbesondere auch Wissen zu Coping-Strategien, zum Umgang mit Stigmata und zur Förderung von Resilienz sowie psychoedukative Materialien zu Angst, Trauer, Depression, Frustration usw.

Mit Blick auf Erfahrungswerte aus vergangenen Pandemien weist Taylor darauf hin, dass neben logischen immer auch emotionale Aspekte in der Kommunikation bedient werden müssten. Gelungene Risikokommunikation müsse also dafür sorgen, dass das tatsächliche Gesundheitsrisiko in der Bevölkerung als solches wahrgenommen und als glaubwürdig empfunden werde. Dabei solle jedoch weder großflächig Angst induziert werden – auch wenn dies als Strategie zur kurzfristigen Aufmerksamkeitsgenerierung geeignet sein könne –, noch dürfe es möglich sein, psychologische Distanz zum Geschehen zu entwickeln, wenn beispielsweise durch übermäßige Berichterstattung eine Form von „Abstumpfung“ einsetze.

Nicht nur bezüglich eines angemessenen Kommunikationskonzeptes und der Adhärenz gegenüber Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen, sondern auch zum Umgang mit impfkritischen Personen gebe es aktuell keine abschließende Lösung, wie Taylor in seinem Buch ausführt. Zwar könne man deren Reaktanz auf individueller Ebene mit verlustbezogenen Ansprachen adressieren, evidenzbasierte Interventionen für einen größeren Rahmen fehlten aber bislang.

Psychologische Expertise nutzen

Auch für die Verarbeitung pandemiebezogenen Stresses – u. a. für spezielle Zielgruppen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens – gebe es noch nicht ausreichend therapeutische Programme. Eine Möglichkeit sei es, bereits bestehende gemeinschaftsweite Interventionen auf ihre Effektivität gegenüber pandemiebezogenen Belastungen zu evaluieren, weitere Forschung sei aber unbedingt notwendig.

Psychologische Expertise werde außerdem benötigt, um Methoden zu entwickeln, mittels derer infektionsbezogene Fremdenfeindlichkeit und andere Formen von Diskriminierung reduziert werden könnten – ein Aspekt, dessen Dringlichkeit auch durch die Corona-Krise erneut sehr deutlich wird.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

„Je mehr ich über Pandemien las, desto mehr wurde mir klar, dass sie im Wesentlichen psychologische Phänomene sind. Bei Pandemien geht es nicht nur um Viren, die Menschen infizieren. Pandemien werden durch das Verhalten der Menschen verursacht oder eingedämmt“, so Steven Taylor im Independent. Da also insbesondere die Psychologie wichtig sei, um zu verstehen, wie Menschen auf die Gefahren einer Pandemie reagieren und mit diesen umgehen, liege es nicht ausschließlich, aber auch in der Verantwortung von Psychologinnen und Psychologen, aus der momentanen Krisensituation zu lernen und ihre Expertise vor allem langfristig auf breiter gesellschaftlicher Ebene einzubringen. „Die aktuelle Pandemie bietet die Gelegenheit, sich auf die nächste vorzubereiten“, meint Taylor in einem Interview mit Radio New Zealand und mahnt, weniger ‚kurzsichtig‘ zu sein. „Denn nach dieser Pandemie wird es weitere geben, das ist unvermeidlich.“

Die Auswirkungen der Corona-Krise lassen sich mithilfe von Taylors Buch und anhand des Verlaufs und der Folgen früherer Pandemien zwar erahnen, wie der langfristige ‚Fußabdruck‘ des Corona-Virus tatsächlich aussieht, wird sich aber noch zeigen.

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