PM: Keine Rückkehr zu Blut und Boden

Psychologenverband besorgt über die lautstarken Fehlinterpretationen des EMGR-Urteils zum Umgangsrecht für biologische Väter durch Interessenverbände

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 21. Dezember 2010 ein Urteil gefällt, das von vielen Medien und vor allem von Interessenverbänden und einzelnen Rechtsanwaltskanzleien als Entscheidung zugunsten biologischer Väter gegen rechtliche Väter oder alleinstehende Mütter für den Umgang mit ihren biologischen Kindern interpretiert wurde. In Wirklichkeit wurde Deutschland verurteilt, eine Entschädigung von 5000 Euro zu zahlen, weil in einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe versäumt worden war, die Persönlichkeitsrechte eines ausländischen biologischen Vaters ausreichend gegen die Kindeswohlaspekte seiner Zwillinge abzuwägen, die in einer deutschen Familie leben.

Im konkreten Fall hatte der biologische Vater von Anbeginn sein Interesse am Umgang mit den Kindern mit seiner Auffassung von Familie begründet. Seitens der Gerichte wurde unterstellt, dass es ihm in Wahrheit nur um das Aufenthaltsrecht in Deutschland gehe. Nach Einschätzung eines psychologischen Sachverständigen diente es nicht dem Wohle der Kinder, die mit Geschwistern und rechtlichen Eltern in einer Familie lebten, Umgang mit ihrem biologischen Vater zu haben, den sie noch nie gesehen hätten. Das OLG Karlsruhe bestätigte diese Einschätzung mit Hinweis auf das Kindeswohl und die auch in anderen Ländern der EU gängigen Faktoren, die Bindung und Familienleben konstituieren. Die Bundesrepublik Deutschland folgte dieser Argumentation vor dem EGMR.

Besorgt registriert der Vorsitzende der Sektion Rechtspsychologie im BDP, Prof. Frank Baumgärtel, nach der Veröffentlichung des EGMR-Urteils Reaktionen von Interessenverbänden und anderen, die so tun, als habe der Europäische Gerichtshof das Kindeswohl in diesem Fall anders beurteilt als die Gerichte davor; als folge er der Vorstellung des Vaters von der Rolle des Blutes und seinen Argumenten von der Andersartigkeit seiner Kinder als Deutsch-Afrikaner, die sie nur durch den Umgang mit dem Vater verstehen könnten.

Der EGMR, so Baumgärtel, folgte allen diesen Begründungen nicht und erkannte die Kindeswohlkriterien als gültig an. Das Gericht hat sich auch nicht der Auffassung angeschlossen, die in einigen Religionen und Kulturkreisen noch dominant ist, dass „der Ruf des Blutes“ oder „die Kraft der Lenden oder des Schoßes“ das entscheidende Kriterium für Elternschaft (hier Vaterschaft) sei. „Inkriminiert wurde lediglich, dass das OLG Karlsruhe das Persönlichkeitsrecht des biologischen Vaters, Umgang mit seinen Kindern zu haben, um seine Auffassung von Familie zu realisieren, nicht ausreichend gegen die Kindeswohlkriterien abgewogen wurde. Damit wurde aber nicht gesagt, dass es zu den Kindeswohlkriterien unabdingbar gehöre, Umgang mit dem biologischen Vater zu haben. Wenn dieser Schluss jetzt propagiert werde, sieht der BDP die Gefahr, dass sich durch Gerichtsurteile vermeintlich bestrafte Väter (seltener Mütter) auf eine verhängnisvolle Weise in ihren Argumenten bestätigt fühlen.

Das Urteil orientiert ganz klar darauf, die Rechte aller am Erziehungsprozess Beteiligten – die des Kindes und der mit ihm lebenden Eltern und Geschwister und die des biologischen Vaters – zu achten. Maßstab sei dabei, so signalisiert der EGMR, ein erweiterter Kindeswohlbegriff, wie ihn auch die novellierte Fassung des Kinderschutzgesetzes enthält. Das Urteil kann aus Sicht des BDP helfen, in der Gesellschaft ein anderes Verständnis für das Kindeswohl zu entwickeln und zur Förderung der Kinderrechte beizutragen. Gleichzeitig wirft es Forschungsfragestellungen auf und stellt neue Anforderungen an Sachverständige.

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