PM: Fallen nicht nur im Kleingedruckten

VPP warnt Psychotherapeuten vor riskanten Verträgen nach dem Beispiel Baden-Württembergs

Eben noch kämpfen wir für eine bessere psychotherapeutische Versorgung gegen Passagen eines hochproblematischen Gesetzentwurfes, da liegt schon wieder ein 300-Seiten-Papier auf dem Tisch, das Lösungen für die gesamte neurologische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung verspricht, und zwar außerhalb der KV. Die Rede ist von dem im Oktober in Baden-Württemberg geschlossenen Vertrag zwischen der AOK, der Bosch-BKK, der Aktiengesellschaft MEDI-Verbund und weiteren Partnern.
Mit einer hohen Anfangsvergütung und dem Wegfall des Gutachterverfahrens wird versucht, die Behandler zu ködern. Der Verband Psychologischer Psychotherapeuten im BDP warnt alle Kolleginnen und Kollegen davor, sich auf Verträge wie diese einzulassen und zwar aus fachlichen, rechtlichen und letztlich auch ökonomischen Gründen. Die Vorsitzende des VPP, Eva Schweitzer-Köhn, kritisiert vor allem, dass die Patienten mit diesem Vertrag das Erstzugangsrecht verlieren. Zudem verzichteten sie von Anfang an auf eine hochfrequente Langzeittherapie, lange bevor die Schwere ihrer Erkrankung überhaupt klar sei. Durch den Wegfall von probatorischen Sitzungen könnten Behandler nicht mehr überprüfen, ob eine tragfähige Arbeitsbeziehung mit der Patientin/dem Patienten überhaupt aufgebaut werden kann. Der VPP sieht darin einen erheblichen Qualitätsmangel.
Dass der Vertrag empirische Erkenntnisse über die nachhaltige Wirkung von Langzeittherapien ignoriert, sei ein weiterer erheblicher Mangel. Ebenso die störungsspezifische Indikation von Psychotherapieverfahren, die bisher im KV-System verhindert werden konnte. Da tröste es wenig, dass auch einzelne Nicht-Richtlinienverfahren laut Vertrag zulässig seien. Berufsethisch bedenklich, so Schweitzer-Köhn, sind außerdem die Zuschläge für Behandler bei einer verringerten Krankschreibungsrate.
Therapeuten begeben sich, so die Einschätzung des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), mit solchen Verträgen aber auch rechtlich in eine zumindest überdenkenswerte Situation. Es handle sich um einen Privatvertrag, mit dessen Abschluss man das Gebiet des Sozialrechts verlasse; bei Rechtsstreitigkeiten (egal, ob bei Kündigung dieses Vertrages oder anderen Themen) sei ein Zivilgericht zuständig, was höhere Kosten bedeuten könne.
Ökonomisch verspricht der Vertrag einige Vorteile. Dazu gehört neben der hohen Anfangsvergütung die Aufhebung der Jobsharing-Obergrenzen. Praxisinhaber könnten Angestellte beschäftigen, die für den Selektivvertrag arbeiten – eine Möglichkeit für junge Kolleginnen und Kollegen ohne eigene Kassenzulassung. Der eine oder andere wird sich darauf einlassen. Aber jeder Psychotherapeut sollte sich dessen bewusst sein, dass einer der Betreiber eine Aktiengesellschaft ist, deren erklärtes Hauptziel im Gewinn für die Aktionäre besteht, nicht für Behandler. BDP-Vizepräsident Bertram prophezeit den wenigen tatsächlichen Vorteilen in solchen Vertragswerken zudem eine kurze Lebensdauer. „Wenn andere Kassen nachziehen, wird der oberflächliche Wettbewerbsvorteil rasch wegfallen.“ Schließlich seien die Mittel der Gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt. „Was bleibt, ist die Abhängigkeit von den Kassen bzw. der Managementgesellschaft.“ VPP und BDP appellieren deshalb an alle Psychotherapeuten, vergleichbare Verträge mit großer Sorgfalt zu prüfen, sich ggf. Rat bei ihrem Berufsverband zu holen und die Vision von einem besseren Gesundheitssystem nicht aufzugeben.

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