Psycholog*innen als Dozent*innen: freiberuflich oder angestellt?

Eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Jan Frederichs, bdp

Das sog. Herrenberg-Urteil 2022 hat die Bildungsbranche nachhaltig beeinflusst. Psycholog*innen sind nicht insbesondere, aber unter Umständen auch betroffen. In Herrenberg hatte eine Musikschule eine Klavierlehrerin freiberuflich beauftragt. Das Bundessozialgericht entschied aber, dass sie tatsächlich abhängig beschäftigt sei. Unternehmerische Merkmale waren nach Auffassung des Gerichts wenig zu sehen. So hatte sie wenig wirtschaftliche Risiken, musste keine Akquise betreiben, wurde auch bezahlt, wenn Musikschüler*innen nicht erschienen, musste wenig selbst organisieren, unterrichtete nach Vorgaben und konnte/durfte bei eigener Verhinderung nicht selbst Ersatz organisieren. Viele Bildungsunternehmen erleben seitdem Unsicherheit, weil es viele Betriebsprüfungen durch Sozialversicherungsträger und ggf. empfindliche bis existenzbedrohende Nachzahlungspflichten und auch Bußgelder gibt. Das Bundessozialgericht hat 2024 noch ergänzt, dass es erheblich Einzelfallentscheidungen sind. Zum Schutz der Branche wurde gesetzlich eine Übergangslösung bis Ende 2026 eingeführt. Unter bestimmten Bedingungen können sich Bildungseinrichtungen darauf verlassen, dass es keine Nachzahlungen gibt.

Dozent*innen sind eher indirekt betroffen, indem Verträge gekündigt und ggf. nicht mehr ersetzt werden. Bisweilen kann es rückblickend wie bei allen Scheinselbständigkeitsangelegenheiten Komplikationen hinsichtlich der fingierten Gehaltshöhe geben. Vielfach sind aber die Vertragsbeziehungen aufrechterhalten worden. Es gab in der BDP-Rechtsberatung vereinzelt Kritik darüber, dass die Dozent*innen in der Umsetzung der Übergangsregelung von den Bildungseinrichtungen gedrängt und etwas überrumpelt worden sind, schnell bis März 2025 Erklärungen zu unterzeichnen, von denen sie nicht genauer wissen, wie sie über Ende 2026 hinaus wirken werden. Die Eile war allerdings kurzen Fristen aus dem Übergangsrecht geschuldet.

Die Branche hat nunmehr bis Ende 2026 Zeit, sich zu organisieren. Die Dozent*innen, ggf. einschließlich von Psycholog*innen haben nicht typischerweise eine Präferenz für die Freiberuflichkeit oder die Angestelltentätigkeit. Wer allerdings nur selten als Dozent*in tätig ist, findet Arbeitsverträge dafür wegen des Meldeaufwands eher unpassend. Allerdings sehen sich die Dozent*innen eher nicht in der Situation, hier selbst Entscheidungen zu initiieren, sondern in erster Linie treffen die Bildungseinrichtungen die strategischen Entscheidungen. Denkbar ist die (Teilzeit)-Anstellung, das wäre auch im Sinne der Sozialversicherungsträger. Denkbar sind aber auch alternative Lösungen wie Projektverträge oder Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen.

Oder die freiberufliche Beauftragung wird (weiterhin) auch ab 2027 favorisiert. Dann allerdings müssen nicht nur die Bildungseinrichtungen auf die inzwischen gebotenen Kriterien achten, auch die Dozent*innen müssen schauen, ob sie dafür die Voraussetzungen gewährleisten können und wollen. Grob gesagt muss die Dozent*innentätigkeit unternehmerisch erscheinen.

Das äußert sich in einer gewissen Unabhängigkeit: Ort, Zeit, Methoden usw. Auch vorteilhaft ist, wenn nachweislich das Honorar nicht vorgegeben, sondern ausgehandelt ist. Typisch unternehmerisch sind auch wirtschaftliche Risiken, z.B. kein Honorar oder Ersatztermin bei Verhinderung, eigene, nicht finanzierte Vorbereitung, ggf. eigene (zusätzliche) Kundengewinnung, Haftungsrisiko für die Güte der Tätigkeit. Und zur gebotenen Gewinnerziehungsabsicht der Dozent*innen passen Investitionen und Expansionspläne. Seitens der Dozent*innen hilft mindestens ein Internetauftritt und sonstige Werbung, besser tatsächlich weitere Kundschaft, ein eigenes Büro, eigene Verwaltung, eigene Facilities usw. Eher gemieden werden sollten Weisungsgebundenheiten, Orts- und Arbeitszeitvorgaben, wobei dies bisweilen organisatorisch unvermeidbar und dann in der Gesamtschau auch unschädlich sein kann. Negativ wirken auch ein Konkurrenzverbot oder Kostengarantien seitens des Auftraggebers. Ungünstig ist wie immer bei Gefahren der Scheinselbständigkeit eine finanzielle Abwicklung für die/den Dozent*in über die Bildungseinrichtung. Die Dozent*innen müssen eigene Rechnungen stellen.

Die vertragliche Gestaltung ist auch hinsichtlich der Unternehmereigenschaft zu verdeutlichen, wobei eine vertragliche Vereinbarung allein nicht reichen kann, es muss auch so „gelebt“ werden. Selbst wenn es selbstverständlich erscheinen sollte, kann es sich lohnen im Auftrag festzuhalten, dass das Honorar ausgehandelt wird, bei Verhinderung der Honoraranspruch entfällt, gestalterische Freiheiten bestehen und nur die Lernziele definiert sind, eigene Gerätschaften zu verwenden sind. Ferner spricht gegen eine Vereinbarung „auf Augenhöhe“, wenn im Vertrag Dinge geregelt sind, die ein*e Freiberufler*in typischerweise selbst entscheidet, z.B. passt eher weniger eine Frist für die Rechnungstellung, es sei denn es gibt organisatorische Gründe, etwa weil die Rechnung fristgebunden vom Bildungsunternehmen weitergeleitet oder eingereicht werden muss.

Wer ohnehin weitgehend selbständig tätig ist und nur gelegentlich die Tätigkeit als Dozent*in ausübt, sollte wenig Probleme mit diesen Kriterien und Anforderungen haben, es ist eher eine geringfügige Erweiterung der ohnehin bestehenden Selbständigkeit. Hier darf allerdings nicht übersehen werden, dass man jenseits des Herrenberg-Urteils als „Lehrer*in“ trotz Selbständigkeit zumindest rentenversicherungspflichtig ist.

Wer hingegen hauptberuflich angestellt ist und nur nebenberuflich als Dozent*in tätig ist, könnte von diesen Anforderungen überfordert sein oder das Zurschaustellen unternehmerischen Handelns passt einfach nicht zu dieser geringfügigen Nebenberuflichkeit. Wie schon generell bei der Scheinselbständigkeit oder der arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit wird nicht als Kriterium berücksichtigt, dass man wegen erheblicher anderweitiger Einkünfte, z.B. aus einer Hauptanstellung, nicht des Schutzes einer Sozialversicherungspflicht bezogen auf die geringfügige Dozent*innentätigkeit bedarf. Aus sozialpolitisch systematischer Sicht ist das nachvollziehbar: Wer hauptsächlich angestellt ist, beteiligt sich am Solidarsystem entsprechend der Leistungsfähigkeit, ein Zusatzerwerb aus Nebentätigkeit wird quasi dem „Hauptstatus“ der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zugeordnet.

Trotzdem erleben es Psycholog*innen und andere als Dozent*innen tätige Personen, die hauptberuflich angestellt sind, als lästig, wenn sie z.B. für drei Seminare im Jahr einen Arbeitsvertrag abschließen müssen (weil die sog. Übungsleiterpauschale nicht greift). Auch erscheinend die Sozialversicherungsmeldungen dafür eher unverhältnismäßig. Noch unpassender finden das die Bildungseinrichtungen. Klassisch suchen sie die hälftige Arbeitgebersozialabgabenpflicht zu vermeiden aber auch andere Üblichkeiten des Arbeitsrechts und des Arbeitnehmerschutzes wie Urlaubsansprüche, Lohnfortzahlung usw. passen wenig zur Situation z.B. von drei mal sechs Stunden Seminartätigkeit im Jahr.

Deshalb wird nach Alternativen gesucht. Es mag Werkverträge, Lizenzmodelle, Subunternehmerschaften und weitere Ansätze geben, allerdings erfordert dies seitens der Ausbildungsunternehmen gravierende Veränderungen, zu denen sie bisweilen nicht bereit sind. Auch auf Seiten der Dozent*innen wäre es eine gravierende Veränderung, z.B. als Subunternehmer*in das Seminar selbst anzubieten. Erst wer vermehrt als Dozent*in tätig ist, kann neue Überlegungen reizvoll finden, wenn z.B. Bildungseinrichtungen kooperieren und dazu beitragen, dass man als Dozent*in verschiedenen Einrichtungen tätig ist und damit sein unternehmerisches Handeln unterstreichen kann.

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