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BDP im Gespräch mit Dr. Valeriia Palii, Präsidentin des ukrainischen Berufsverbandes für Psychologinnen und Psychologen

Heute ist Welttag der humanitären Hilfe! Als internationale Gemeinschaft gedenken wir heute all jener die verstarben, während sie als humanitäre Helfer in Krisengebieten Unterstützung leisteten. BDP-Präsidentin Dr. Meltem Avci-Werning sprach aus dem Anlass mit der Präsidentin des ukrainischen Psychologie-Verbandes, Dr. Valeriia Palii. Beide Verbände sind Mitgliedsorganisationen in der Global Psychology Alliance (GPA). Bewegend schildert Dr. Palii ihre Erfahrungen der letzten Monate, wie sie und ihre Mitarbeiter im Angesicht des Angriffskrieges einer völlig neuen Wirklichkeit ausgesetzt waren und ihre Arbeitsweise anpassen mussten. Sie spricht über Bürgeraktivismus und wie dieser die Resilienz ihres Volkes stärkt und ihm ein Gefühl der Kontrolle geben kann.

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Dr. Meltem Avci-Werning: Liebe Valeriia, wie arbeitet der ukrainische Berufsverband unter den derzeitigen Umständen? Ist dein Personal noch in der Ukraine? Wie könnt ihr während des Krieges in eurem Land psychologische und psychosoziale Hilfe leisten?

Dr. Valeriia Palii: Heute können wir sagen, dass wir im üblichen Modus arbeiten. Der erste Monat war am Schwierigsten. Niemals hätten wir gedacht, dass Putin es tatsächlich wagen würde, einzumarschieren. Heute wissen wir es besser. Niemand konnte ahnen, dass Putins Krieg so blutrünstig und zerstörerisch für uns sein würde. Daher waren wir psychologisch gesehen nicht auf den 24. Februar vorbereitet. In den ersten Tagen mussten wir uns und unsere Lieben retten und gleichzeitig auch unsere „psychologische Front“ aufbauen.

In den ersten Wochen habe ich nie mehr als zwei Stunden geschlafen – Adrenalin und eine lange Liste an Aufgaben hielten mich wach. So ging es auch vielen meiner Kolleginnen und Kollegen. Viele von ihnen blieben in den Städten unter Beschuss, einige gerieten in russische Besatzung, andere brauchten Tage, um die europäische Grenze zu erreichen. In den ersten Wochen hatten wir mit einigen von ihnen überhaupt keinen Kontakt, da sie tagelang ohne Telefon- oder Internetverbindung, ohne Nahrung, Wasser und grundlegende Hygiene waren. Wir wussten nicht mal, ob sie leben.  Es herrschte Chaos. Aber wir konnten diejenigen aktivieren, die sich an halbwegs sicheren Orten befanden. Wir kommunizierten per Telefon, Messenger oder Mailkontakt. Natürlich haben viele ihre technischen Geräte zuhause gelassen als sie geflüchtet sind und sich und ihre Liebsten in Sicherheit gebracht haben.

Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind jetzt Flüchtlinge in europäischen Ländern, flohen an sicherere Orte in der Ukraine, manche verstecken sich in Kellern der Städte, die bombardiert und beschossen werden (Charkiw, Mykolajew), andere sind vom Feind umzingelt (Region Donezk, Oblast Saporischschja) oder unter Besatzung (Cherson).

Ich befinde mich in Kiew und werde wohl auch bleiben. Zurzeit bin ich in der Lage unter den gegebenen Bedingungen einen relativ stabilen Arbeitsprozess zu organisieren und die Situation ist dank unserer Armee – soweit das möglich ist – weitgehend unter Kontrolle. Als Verband haben wir ein zuverlässiges Team, haben uns einigen Freiwilligen-Netzwerken angeschlossen und helfen wo wir können. Das bedeutet vor allem 1. Wir unterstützen unsere Gemeinschaft mit Wissen und Fähigkeiten, die für sie jetzt wichtig sein können. Wir bieten kostenlose Ausbildung, Schulung, Übersetzung von Protokollen und organisieren Supervision. 2. Wir haben ein Hilfetelefon für Ukrainerinnen und Ukrainer eingerichtet, das in der Ukraine und in Polen, der Tschechischen Republik, Italien, Frankreich, Irland, Großbritannien, Portugal, Schweden und Österreich verfügbar ist. Demnächst wird sie auch in Deutschland verfügbar sein. 3. Wir beraten verschiedene Ministerien und Regierungsinitiativen. 4. Wir setzen uns für den Ausschluss russischer Verbände aus verschiedenen Berufsgruppen ein, da sie mit dem Verbrecherregime zusammenarbeiten und den Krieg unterstützen.

Dr. Meltem Avci-Werning: Nach dem Einmarsch reagierte der BDP mit verschiedenen Maßnahmen, wie der Veröffentlichung einer Solidaritätsnote, der Gründung einer Task Group für die Ukraine, der Einrichtung einer Hotline und dem Beitritt zur Alliance4Ukraine. Was erwartest Du von Allianzen wie der GPA, der euer Berufsverband wie auch der BDP angehören, um bei humanitären Krisen wie Kriegen, Natur- und anderen Katastrophen vor Ort zu helfen? Wie kann die Psychologengemeinschaft Hilfe und Unterstützung leisten?

Dr. Valeriia Palii: In den ersten Tagen erhielten wir ein Schreiben der Allianz, in dem die Mitglieder der nationalen Verbände den Krieg verurteilen und ihre Solidarität bekunden. Ich weiß gar nicht wie viele persönliche Briefe von Kolleginnen und Kollegen sowie Verbänden aus der ganzen Welt ich im ersten Monat erhalten habe. Es waren so viele Unterstützungen und Hilfsangebote. Mit einigen haben wir Fortbildungsveranstaltungen für ukrainische Psychologinnen und Psychologen, Supervision und Übersetzungen. Verbände in einigen Ländern boten psychologische und humanitäre Unterstützung für Ukrainerinnen und Ukrainern vor Ort. Andere boten direkt Hilfe in ihren Ländern an, zum Beispiel bei der Suche nach Arbeit. Ich hatte eigentlich gar keine Erwartungen an die Global Psychological Alliance und war dann tatsächlich von der Hilfe, die von so unterschiedlichen Seiten kam, überwältigt.

Wir haben erkannt, dass die GPA ein Expertenpool für ganz unterschiedliche Themen ist, wenn es zum Beispiel um Themen wie Selbstmordgedanken oder Missbrauch geht, Hotlines für Hilfesuchende oder Menschen, die Angehörige vermissen, Menschen mit moralischen Verletzungen, Todesangst und all die psychologischen Hilfsangebote für das Militär. Jede Form von Wissen kann hilfreich sein.

Dr. Meltem Avci-Werning: Derzeit gibt es mehrere schwere humanitäre Krisen auf der ganzen Welt - neben den Gräueltaten in der Ukraine leben die Menschen in Afghanistan unter unmenschlichen Bedingungen und sind durch Gewalt, Hunger, Vertreibung usw. bedroht und traumatisiert. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich oft hilflos, wenn sie diese Nachrichten hören, und möchten helfen. Welchen Rat kannst Du Menschen geben, die sich an der Krisenhilfe beteiligen möchten?

Dr. Valeriia Palii: Der wichtigste Rat ist: Tragt zur Lösung des Problems bei und handelt. Seit fast sechs Monaten lesen wir in der Ukraine die Nachrichten voller Schmerz und Verzweiflung. Manchmal fühle ich mich wie eine Figur aus einer dystopischen Serie wie "Black Mirror" oder "Year and Years", und ich möchte am liebsten abschalten. Aber ich kann es nicht. Ich versuche mich mit Gedanken an Probleme abzulenken, dass es irgendwo anders auf der Welt gibt, aber die Realität holt mich immer wieder ein und fühlt sich noch schlimmer an.

Das wichtigste Geheimnis der Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger ist ihr Commitment. Wir halten zusammen. Wir alle unterstützen die Armee, gehen zu den Protesten und engagieren uns freiwillig, wo immer wir gebraucht werden. Auf diese Weise gewinnen wir unser Gefühl der Kontrolle zurück. Der Zusammenhalt gibt uns ein Gefühl der Kontrolle und bringt uns hoffentlich den Sieg näher.

Jeder kann etwas dazu beitragen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Findet eine konkrete Initiative und spendet ein bisschen eurer Zeit, um den Bedürftigen zu helfen, spendet selbst oder unterstützt Spendeninitiativen oder ermahnt Politikerinnen und Politikern zu handeln. Nur mit vereinten Kräften können wir in einer friedlichen und florierenden Welt leben. Jeder von uns kann etwas verändern. Unser Handeln ist wichtig, auch wenn es noch so klein ist.

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Krieg gegen die Ukraine
BDP im Gespräch
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