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Stellungnahme des BDP zum Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit (Gesundes-Herz-Gesetz – GHG) (Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit vom 19.06.2024)

Stellungnahme

Berlin, den 11. Juli 2024

Vorbemerkung
Mit dem vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit – kurz: Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) – wird das Ziel verfolgt, die Herz-Kreislauf-Gesundheit in der Bevölkerung zu stärken und mittels eines Maßnahmenbündels veränderbare Lebensstilfaktoren und andere Risikofaktoren einschließlich damit zusammenhängender Erkrankungen zu senken. Die Stärkung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention ist bei den großen Volkskrankheiten von besonderer Bedeutung für Kosten und Lebensqualität und wird vom Berufsverband BDP in hohem Maße begrüßt. 

Der Gesetzentwurf stellt im Kern jedoch nur auf medikamentöse Versorgung und die dazugehörigen Screening-Strategien ab. Leider fehlen in dem Gesetzentwurf daher das Herzstück und der Schlüssel für Veränderungen des Lebensstils: Psychologie und psychologisches Know-how mit eingeführten evidenzbasierten Interventionen zur Veränderung von Verhalten und Motivation im Sinne eines modernen Gesundheitsverständnisses. 

Folgende Ansatzpunkte sehen wir für Nachbesserungen des Gesetzentwurfes:

1.  Biopsychosoziales Gesundheitsverständnis für die Herz-Kreislauf-Gesundheit

Für die Herz-Kreislauf-Gesundheit ist ein biopsychosoziales Gesundheitsverständnis besonders wichtig.

„Psychosoziale Faktoren wie niedriger sozialer Status, akuter oder chronischer Stress, Depression oder Angst [ergänzt: und Mangel an sozialer Unterstützung] sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Erkrankungsrisiko und mit einem ungünstigeren Verlauf nach Krankheitseintritt verbunden.“ (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, 2018) 

Gemäß Referentenentwurf zum GHG werden „nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand … zu 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch modifizierbare Lebensstilfaktoren verursacht – insbesondere ungesunde Ernährung, Bewegungsarmut, Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum.“ Die immense Bedeutung von Stress wird dabei leider nicht erwähnt. „Stress … ist er einer der größten vermeidbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ (Deutsche Herzstiftung) 

Im Referentenentwurf wird zwar die hohe Bedeutung verhaltensbezogener Risiken angesprochen, die Auswahl der Maßnahmen erscheint jedoch sehr lückenhaft und lässt die in der Gesundheitsversorgung gewohnte starke Evidenzbasierung vermissen.
Diese Lücke erscheint allerdings nicht zufällig, steht sie doch im Einklang mit der Einseitigkeit des Regelungsentwurfes im Hinblick auf die darin aufscheinende rein medizinische und somatische Perspektive auf Gesundheit. 

Im Referentenentwurf zum GHG sind an keiner Stelle psychosoziale Faktoren zur Herz-Kreislauf-Gesundheit erwähnt. Aus Sicht des BDP erscheint es daher dringend nötig, die Konzepte der WHO und im Rahmen der Gesetzesentwürfe ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit zu berücksichtigen und dies insbesondere bei solchen, die auf Prävention und Verhaltensänderungen abzielen. 

Im Kontext eines biopsychosozialen Verständnisses von Herz-Kreislauf-Gesundheit und ihren Störungen liefert hier die noch junge Versorgungsform der Psychokardiologie fachliche Ansätze zur Prävention und Versorgung.

Der BDP fordert die intensive Berücksichtigung evidenzbasierter Verhaltenspräventionsmaßnahmen und die Orientierung an einem umfassenden Verständnis von Gesundheit entsprechend der WHO. Zum Zwecke einer umfassenden, ganzheitlichen Förderung von Gesundheit weist der BDP eindringlich auf die Stärkung des biopsychosozialen Ansatzes in der Versorgung hin.

2. Prävention und Gesundheitsförderung evidenzbasiert erhalten und stärken

Das Präventionsgesetz „Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“ (§ 20 SGB V) bietet seit Jahren gute Möglichkeiten, die individuelle Gesundheitskompetenz zu verbessern und die oben genannten Lebensstilfaktoren inclusive Stressbewältigung zu modifizieren. 

Der BDP stimmt mit seiner Position in diesem Punkt nicht nur mit derer vieler Krankenkassen und anderer Akteure überein sondern auch mit der des G-BA, der die Primärprävention als „überragend wichtig“ ansieht und für die Beibehaltung der Maß-nahme nach Paragraf 20 plädiert.

Durch Krankenkassenleistungen zur verhaltensbezogenen Prävention können Versicherte an Präventionskursen teilnehmen, aus psychologischer Sicht sind vor allem Kurse zur Stressbewältigung mit präventiven Wirkungen für die Herz-Kreislauf-Gesundheit verbunden. Teilnehmer*innen an solchen Kursen können dabei wertvolle Effekte wechselseitiger gruppentherapeutischer Verständigung über Probleme und Problemlösungen erleben, sie können soziale Unterstützungen erfahren und dadurch Gefühle des Alleinseins mit Problemen überwinden, was einen wichtigen biopsychosozialer Präventionsaspekt gegenüber Herzerkrankungen darstellt.

Dem Referentenentwurf zum GHG nach sollen für die „Primäre Prävention und Ge-sundheitsförderung“ die Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention – gegen den Sinn des Gesetzes – zu einem großen Teil durch Leistungen zur Sekundärprävention ersetzt werden: Früherkennungsuntersuchungen sowie Medikamente zur Senkung erhöhter Werte von LDL-Cholesterin (Statine) und zur Nikotinentwöhnung. 

Im Referentenentwurf sind für die bisherigen Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention zum Jahr 2024 186 Mill. Euro berechnet; davon sollen 90 Mill. Euro für Statine und 9 Mill. Euro für Nikotinentwöhnungsmedikamente vorgehalten werden. 

Der BDP kritisiert scharf die Verminderung finanzieller Aufwendungen von Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention im Rahmen der Primärprävention bzw. deren Ersatz durch Maßnahmen der Sekundärprävention, ohne dass es dafür eine ausreichende Evidenz gibt. 

3. Fixierung des geplanten GHG-Gesetzes auf Teilmaßnahmen mit mangelnder Evidenz
Der BDP begrüßt die Einführung eines neuen Disease-Management-Programms (DMP) für Versicherte mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dort und in einem Gesundes-Herz-Gesetz sollte ein biopsychosoziales Gesundheitsverständnis für die Herz-Kreislauf-Gesundheit maßgeblich sein und explizit im Gesetz benannt sein. Im Kontext der Psychokardiologie sollten ebenso mehrere psychosoziale Perspektiven für die Herz-Kreislauf-Gesundheit benannt werden. 

Für Früherkennungsuntersuchungen ist es ebenso sinnvoll, biopsychosoziale Aspekte zu erfassen. Dazu sollten Untersuchungsmethoden und standardisierte Fragebogen im Forschungsprozess entwickelt und nach Kriterien der Testtheorie überprüft werden. Nicht nur im Hinblick auf Vorbeugung, Krankheitslast und Vermeidung ökonomischer Kosten sowie Komorbidität, sondern auch zur Vermeidung von Belastung und Leid ist ein zielgenauer Einsatz von Präventionsmitteln von hoher Bedeutung.

Kritisch betrachtet der BDP den verstärkten Einsatz von Statinen. „Statine haben in vielen großen Studien nachgewiesen, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken und die Lebenserwartung verlängern.“ Diese pauschale Aussage enthält keinen Hinweis darauf, welcher Risiko-Aspekt durch Statine beeinflusst wird und ist zu allgemein. Die öffentliche Kritik an der Evidenz des Einsatzes von Statinen und Forderungen nach einer umfassenden und neutralen Nutzen-Kosten-Risiko-Bewertung statt ministerieller Verordnung soll hier nicht wiederholt werden die Evidenzen für die vielen Maßnahmen aus dem biopsychosozialen Ansatz stehen jedoch nicht in Zweifel. Zudem spielen Auswirkungen auf das Verhalten auch bei medikamentösen Strategien eine bedeutsame Rolle.

Bei gewohnheitsmäßigen Einnahmen von Statinen, von Medikamenten zur Raucherentwöhnung und auch von vielen Psychopharmaka lässt sich folgende ungesunde psychische Auswirkung erwarten: Menschen vermindern durch psychische Gewöhnungen an Medikamente ihr Selbstvertrauen (die ‚Selbstwirksamkeitserwartung‘), durch bewusste Lebensstiländerungen Erkrankungen selbst vorbeugen zu können. Die Folgen der Gewöhnung an die dauerhafte Einnahme von Medikamenten und damit verbunden geringeres Bewusstsein für Sinn und Notwendigkeit von Bemühungen um Lebensstilveränderungen können in der Verringerung primärpräventiv wirksamer psychischer Gesundheitskompetenzen münden und somit im Gesundheitswesen ein hoher Kostentreiber sein.

Der BDP fordert, in der Gesundheitsversorgung und insbesondere in der Prävention einen breiten Ansatz entsprechend des WHO-Verständnisses zugrunde zu legen und dies insbesondere bei den in vielerlei sehr bedeutsamen großen Volkskrankheiten. Eine neutrale Nutzenbewertung, die den größtmöglichen Nutzen für die Bevölkerung hebt und möglichst wenig beeinflusst ist durch Lobby- und Berufsgruppeninteressen bzw. durch verengte Perspektiven und Wissensstände einzelner Entscheidungsträger und Organisationen ist von hoher Bedeutung. Bei der Gestaltung der Strukturen im Gesundheitswesen ist daher aus Sicht des BDP eine wissenschaftsbasierte und beteiligungsorientierte Vorgehensweise sinnvoll und zu erhalten.

4. Umverteilung der Mittel für Prävention mit fraglichem Nutzen
Im Referentenentwurf werden diagnostische und medikamentöse Maßnahmen sowie Apothekenleistungen finanziell besonders gefördert. Paradoxerweise werden für diesen Zweck die Mittel für die bestehenden evidenzbasierten Maßnahmen zur Prävention umgeschichtet und somit deren Inanspruchnahme und Nutzen deutlich vermindert. 

Dies ist im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes nicht nur intentionswidrig, sondern könnte zu weiteren Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und zudem geringerer Effektivität führen. Wenn diagnostische Strategien und Behandlungsmaßnahmen ausgedehnt werden, darf dies nicht zulasten evidenzbasierter Gesundheitsförderung und Prävention gehen. 

Aus Sicht des BDP erscheint es demgegenüber erforderlich, Gesundheitsförderung und Prävention weiter auszubauen und dabei insbesondere settingbezogene Maßnahmen auszubauen. Dabei sind nicht nur Schule und Arbeitsplatz in den Fokus zu nehmen, sondern auch die nachweislich hoch effektiven Ansätze gemeindepsychologischer Gesundheitsförderung in der Fläche auszubauen. 

Als größter psychologischer Berufsverband gehören Prävention, Gesundheitsförderung und die Erhaltung psychischer Gesundheit und Fitness zu unseren Schwerpunktthemen und Aktionsfeldern. Gerne stehen wir für Fragen und Anregungen zur Verfügung.
 

Ihre Ansprechpersonen:

Thordis BethlehemMaximilian Rieländer
Präsidentin Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)
E-Mail: t.bethlehem@bdp-verband.de  
Vorsitzender der Sektion Gesundheits- und Umweltpsychologie im BDP
E-Mail: psychologe@rielaender.de 


Fredi Lang

 
Referatsleiter Fach- und Berufspolitik des BDP
E-Mail: f.lang@bdp-verband.de
 
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Kategorien:
Stellungnahme
Psychologie und Gesundheit
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Psychologie und Gesundheit
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Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen